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4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung
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den Beamten verlangte, durch die äußere Erscheinung die Abkehr von revolutio-
närer Gesinnung zu demonstrieren: Er verbot mit einem Ah. Kabinettsschreiben
allen Hof- und Staatsbeamten das Tragen des Vollbartes als Ausdruck rebellischer
Denkart.110 Für das Haus Habsburg, das (wie später ausgeführt werden wird) so-
wohl die Regenten- als auch die Beamtenpflichten im Sinne des frühzeitlichen
Theoretikers Justus Lipsius verstand, war durch das unbotmäßige Verhalten von
Beamten und dessen möglichen „staatszersetzenden“ Folgen eine Welt ins Wan-
ken gekommen! Diesem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis entsprang wohl
auch derselbe Fehler, den man 1859 in Venetien nach dem Krieg gegen Piemont-
Sardinien und Frankreich wieder machte, obwohl man aus Erfahrung wusste, wie
schwierig sich die spätere Reparatur des Schadens der von den Kriegsgerichten
streng und oft ungerecht verhängten Urteile gestaltet hatte.111
Allerdings war zum Zeitpunkt 1859 die Macht der Polizei und der Kriegsge-
richte im gesamten Gebiet der Monarchie bereits eingeschränkt, da die Strafpro-
zessordnung von 1853 in § 153 festsetzte, dass bei einer „vorläufigen Verwahrung“
der/die Verdächtige innerhalb von 48 Stunden dem Untersuchungsrichter vorzu-
führen wäre.112 Dieser musste die sofortige Freilassung verfügen, wenn der Haft-
grund – etwa wegen fehlender Beweise – wegfiel. Der Willkür der Polizeibehörden
schien ein Riegel vorgeschoben zu sein. Die Beamten der Polizei, der Statthalterei
und der Statthalter selbst jedoch agierten den italienischen Beamten gegenüber,
die sie der „revolutionären“ Umtriebe, ja nur der revolutionären Gesinnung allein,
verdächtigten, unbarmherzig. Andreas Gottsmann zeigte in seinem Buch „Vene-
tien 1859–1866“ die Behandlung von „staatsfeindlichen“ (italienischen) Beamten
durch die Beamten der Polizei und Statthalterei. In der Liste der „politisch ver-
dächtigen Personen“, 367 an der Zahl, waren viele Beamte vertreten, die im Fall
der Verhängung des Belagerungszustandes sofort zu verhaften gewesen wären.113
Nach dem Krieg von 1859 wurden „unverlässliche“ Beamte der Statthalterei so-
110 Ah. Kabinettsschreiben vom 12. September 1852, siehe Ministerkonferenzprotokoll vom 14. Sep-
tember 1852, ÖMR. III/1.
111 Besonders aufschlussreich bezüglich hoher Beamter und Würdenträger Ministerkonferenzproto-
koll vom 6. Juli 1852/I, ÖMR. III/1.
112 GOTTSMANN, Venetien, S. 398.
113 GOTTSMANN, Venetien, S. 388. Über die Verwaltungsstruktur und die hohe Bürokratie in
Lombardo-Venetien auch BRIGITTE MAZOHL-WALLNIG, Österreichischer Verwaltungs-
staat und administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815–1859 (= Veröffentlichun-
gen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 146, Mainz
1993).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277