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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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Beamten als auch die entsprechende Gesinnung und die damit verbundene Wer-
torientierung betraf. Es war zu erhoffen, dass die Beamten dem Staat – und nicht
mehr wie bisher dem absolut regierenden Regenten – verpflichtet sein würden.
Doch dies geschah nicht. Zwar hielt man es für notwendig, im Staatsgrundgesetz
vom 21. Dezember 1867 „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ ausdrück-
lich festzulegen, dass „alle öffentlichen Ämter für alle Staatsbürger gleich zugäng-
lich“ seien.2 Doch verstand es die Krone, die Beamten durch die Verfassung recht-
lich weiter an sich zu binden. Denn im Artikel 3 des Staatsgrundgesetzes sicherte
sie sich die Oberhoheit über den Machtfaktor Bürokratie. Es wurde nicht nur
festgestellt, dass der Kaiser die „Regierungsgewalt durch verantwortliche Minister
und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten ausübt“, sondern zu-
sätzlich betont, dass er der oberste Gebieter der Beamten sei: „Der Kaiser ernennt
und entlässt die Minister“, so heißt es, „und besetzt über Antrag des betreffenden
Ministers alle Ämter in allen Zweigen des Staatsdienstes, insofern das Gesetz nicht
ein anderes verordnet“.3 Damit blieben die Beamten weiter „kaiserliche“ Beamte,
und erst in zweiter Linie wurden sie als Staatsbeamte begriffen, die in demselben
Gesetz streng verpflichtet wurden, innerhalb ihres Wirkungskreises auf die Ein-
haltung des Staatsgrundgesetzes zu achten, wofür sie „verantwortlich“ zu machen
waren. Dies stand den Organen zu, die die Disziplinargewalt innehatten. Damit
blieb die Haftung des Beamten im Amtsweg (seit einem Hofdekret von 1806)
aufrecht, ohne dass die Amtshaftung des Staates angesprochen worden wäre.4 Für
die zivilrechtliche Haftung wurde ein eigenes Gesetz in Aussicht gestellt, das al-
lerdings während der Zeit der Monarchie nie erschien. Die richterlichen Beamten
waren bereits seit 1859 von der Amtshaftung ausgenommen.5 Und für sie erfolgte
1872 ein Syndikatsgesetz, durch das prinzipiell die Amtshaftung des Staates zu-
mindest für die Richter anerkannt wurde.
Der unbedingte Wille des Kaisers zur Macht über den Verwaltungsapparat
kam auch in dem im Grundgesetz festgesetzten Wirkungskreis des Reichrates zum
Ausdruck, zu dem lapidar lediglich „die Gesetzgebung über die Grundzüge der
Gerichts- und Verwaltungsbehörden“ – und nicht mehr als die Grundzüge – ge-
2 RGBL. Nr. 142/1867, BERNATZIK, Verfassungsgesetze Nr. 134, S. 422.
3 Artikel 2 und Artikel 3 („Über die Regierungs- und Vollzugsgewalt“), RGBL. Nr. 145/1867,
BERNATZIK, Verfassungsgesetze, Nr. 137, S. 435 f.; siehe auch HEINDL, Was ist Reform?,
S.
168 f.
4 BERNATZIK, Verfassungsgesetze, Nr. 137, S. 438.
5 Dazu WERNER OGRIS, Die Beamten in der Habsburgermonarchie. In: Die Verwaltung.
Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft 18/2 (1985), S. 214 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277