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3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en
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rede stimmten, versetzte sie der Kaiser umgehend in den Ruhestand.29 Damit war
klargestellt: Die Verantwortlichkeit des freien Mandatars wog für den Souverän
weniger als die Pflicht des Beamten, der dem Kaiser (und seiner Regierung) Erge-
benheit, Gehorsam und Loyalität schuldete. Auch später noch griff der Kaiser per-
sönlich mehrmals massiv in die staatsbürgerlichen Rechte der Beamten ein.30 Die
Ministerpräsidenten und ihre Regierungen folgten im Allgemeinen dem Kaiser,
vom dem sie (und nicht vom Parlament) eingesetzt waren – und ihrer jeweiligen
Parteilinie, von der die Behandlung abhing, die sie Beamtenfragen zuteilwerden
ließen. Die Konflikte zwischen Regierung und Parlament ergaben sich immer wie-
der aus den Disziplinierungen von Beamten.
Das Problem der Beamten, ihrer Zuordnung und ihrer Gehälter wurde in al-
ler Schärfe besonders in der frühen konstitutionellen Ära während der liberalen
Regierung der 1870er-Jahre eine Frage der andauernden Konkurrenz von Kaiser
und Parlament. Die Liberalen waren gemäß ihrer Ideologie nicht sehr bürokra-
tiefreundlich gesinnt – galt diese doch als Vertreterin des „Leviathans“ Staat –
doch es stellte sich bald heraus, dass durchaus eine Reihe gemeinsamer Interessen
existierte, die die Beamten der liberalen Honoratiorenpartei attraktiv erscheinen
ließen. Weltanschaulich galten die Beamten im Verfassungsstaat nicht anders als
im Neoabsolutismus mehrheitlich als liberal und reformerisch gesinnt. Sozial hat-
ten die bürgerlichen Beamten innerhalb des bürokratischen Apparates, in dem der
Anteil des Hochadels nur mehr ein bis zwei Prozent – in den höchsten Rängen
– betrug,31 längst die Oberhand. Sie trafen sich daher zunächst in so manchen
Fragen mit der Mehrheitspartei der liberalen Ära. Vor allem bot die Verfassungs-
diskussion eine gemeinsame Interessenbasis. Das Staatsgrundgesetz sicherte der
Reichsgesetzgebung durch den Reichsrat die Dominanz über die Landesgesetzge-
bung der einzelnen Landtage der Königreiche und Länder.32 Die Politik der Libe-
ralen war starr und unnachgiebig auf die Erhaltung des Zentralismus ausgerichtet
– in der nicht unberechtigten Annahme, zentralistische Strukturen würden den
deutschsprachigen Eliten in der Monarchie die Vorherrschaft sichern. Den Be-
amteneliten, allein schon aufgrund von Beruf, Erziehung und Tradition politisch
dem zentralistischen Denken verhaftet, versprachen diese Strukturen zweifelsohne
in der Praxis die altgewohnte, einfachere Handhabung des Dienstes, zudem kul-
29 GOLDINGER, Wiener Hochbürokratie, S. 317; HEINDL, Zum cisleithanischen Beamtentum,
S. 1175.
30 Siehe Kapitel „Parteipolitische Konflikte“.
31 STIMMER, Eliten in Österreich 1, S. 406.
32 Siehe dazu den Exkurs von BERNATZIK, Verfassungsgesetze, S. 409–412.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277