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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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Sprachen in den 17 Kronländern (dazu kamen noch einige nicht anerkannte, aber
in der Realität gesprochene Sprachen) war die durch das Gesetz vorgeschriebene
„Sprachgerechtigkeit“ (Hannelore Burger) für die Beamten aller Sprachnationen
mit weitreichenden existenziellen Folgen verbunden.
Es hatte bereits früher in der vorkonstitutionellen Periode Vorschriften gege-
ben, auf die nichtdeutschen Sprachen Rücksicht zu nehmen,92 doch waren diese
für die Beamten nicht existenzbedrohend. Für Dalmatien etwa, wo das Italieni-
sche die Verwaltungssprache war, obwohl die Italiener nicht die Mehrheitsbe-
völkerung stellten, gab es für Bürokraten Vorschriften – etwas vage formuliert –,
Grundkenntnisse eines slawischen Dialektes bzw. des „Illyrischen“ zu erwerben –
mit Ausnahme der neoabsolutistischen Periode, wo versucht wurde, die Kenntnis
des Deutschen zu forcieren. In Galizien waren Latein und Polnisch (oder auch
Deutsch) die Amtssprachen gewesen.
Die bekannte Lösung, die man bezüglich der Sprache der Verwaltungsbehör-
den nach 1867 traf, zwischen einer äußeren und einer inneren Amtssprache zu
unterscheiden, schien zunächst den sprachnationalen Emotionen Rechnung zu
tragen. In den Zentralstellen Wiens hatte sich der Brauch herausgebildet, Einga-
ben bei den Behörden in den landesüblichen Sprachen anzunehmen, die Erledi-
gung erfolgte in der Geschäftssprache der Zentralbehörden, das war die deutsche
Sprache.93
In den Kronländern blieben die Auseinandersetzungen um die Sprache nicht
auf das Idiom der „dominanten“ Mehrheitsbevölkerung, das Deutsche (oder in
der ungarischen Reichshälfte auf das Ungarische), beschränkt. In Dalmatien bei-
spielsweise gingen die Kämpfe gegen die Vorherrschaft des Italienischen in den
Gerichten und Ämtern sowie um die Einführung des Kroatischen (1900/1901
des Serbokroatischen). In Galizien wurde ab der Zeit der polnischen Autonomie
das Deutsche aus den Amtsstuben verdrängt, vom Ruthenischen/Ukrainischen
ganz zu schweigen, die ignoriert wurden. 1869 wurde für Beamte gar zwingend
vorgeschrieben, die polnische Sprache innerhalb von drei Jahren zu erlernen,
außer in einigen Ämtern (Kassen, Post- und Telegrafendienst, Eisenbahnen), wo
das Deutsche als innere Amtssprache erhalten bleiben sollte.94 Der Statthalter
von Galizien, Graf Agenor Goluchowski der Ältere, entließ wegen der polni-
schen Autonomie sofort sowohl einige deutschsprachige Statthaltereiräte als
92 STOURZH, Gleichberechtigung der Volksstämme, S. 1083.
93 STOURZH, Gleichberechtigung der Volksstämme, S. 1097 f.
94 MEGNER, Beamte, S. 271–282.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277