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5. Nationale Illustrationen
auch ruthenische Lehrer und Professoren, ruthenische Beamte aus Ostgalizien
wurden nach Westgalizien unter „die Mauren“ versetzt.95 Als eine Folge der pol-
nischen Sprachverordnung kam es zu schwerwiegenden Differenzen zwischen
Goluchowski und dem Finanzminister, da dieser, so lautete der Vorwurf, Beamte
mit unzureichenden Polnischkenntnissen nach Galizien entsende und es außer-
dem im Finanzministerium zu wenig Beamte gebe, die die fast ausschließlich
polnischen Eingaben aus Galizien zu lesen imstande wären. Der Staathalter be-
stand darauf, einen Polnisch sprechenden Landsmann, der das „Vertrauen des
Landes“ besaß, als Referenten für galizische Angelegenheiten ins Ministerium zu
berufen. Dies gab den Nationalpolen eine Handhabe: Die bereits erwähnte Ver-
mehrung der polnischen Beamten im Finanzministerium war die Konsequenz.
Mit Dr. Julian Ritter von Dunajewski als Finanzminister (1880–1891) begann die
Zahl der polnischen Beamten im Finanzministerium zu steigen.96 Eine andere
schwerwiegende Konsequenz war aber auch der Schwund der deutschsprachigen
Beamten in Galizien. Die beiderseitige Unkenntnis der Sprachen, die polnischen
Beamten in Galizien sprachen nicht Deutsch, die deutschsprachigen Beamten
der Zentralverwaltung nicht Polnisch (wobei die größere Hemmung sicher bei
den Deutschösterreichern zu finden war, eine slawische Sprache zu lernen), ver-
hinderte aber auch jede vernünftige Kontrolle durch die Zentralstellen, etwa
durch einen nichtpolnischen Ministerialbeamten, sodass nicht nur Kleinwaech-
ter über die Finanzverwaltung in Galizien nichts Gutes berichtete, sondern auch
Finanzminister Ernst Plener (1893–1895) gegenüber dem Kaiser ernstliche Sorgen
über den Zustand der Verwaltung in Galizien äußerte und den polnischen Be-
amten „den richtigen Begriff vom Pflichtgefühl und Anstand“97 absprach. Klein-
waechter als deutschnational gesinnter Beamter und Plener als Deutschliberaler
können nicht als ausgesprochen polenfreundlich bezeichnet werden, die Diszip-
linarfälle allein sprechen für die Unordnung der Verwaltung in Galizien, die zu
einem Viertel (gesamtösterreichisch gesehen) aus diesem Land stammten. Die
Möglichkeiten der Wiener Regierung, einzugreifen, waren im Fall von Galizien
begrenzt.
95 Siehe BERNHARD RITTER von ME�ER, Erlebnisse des Bernhard Ritter von Meyer weiland
Staatsschreiber und Tagsatzungs-Gesandter des Kantons Luzern, nachmaliger k. k. Hof- und
Ministerialrath, Sekretär des Ministerrathes, II (Wien 1875), S. 46; zu den Folgen der polnischen
Autonomie in diesen Jahren DEAK, The Austrian Civil Service, S. 224 f.
96 Dazu und zum Folgenden KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 52 f.; auch
GOLDINGER, Das polnische Element, S. 65 und 67.
97 So Finanzminister Ernst Plener, zit. nach MEGNER, Beamte, S. 282.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277