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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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mer schlüssig beweist,132 der katholische Kartellverband (CV) eine immer größere
Rolle in der höheren Bürokratie. Immerhin ergriff bald der erkleckliche Prozent-
satz von 57,1 % seiner Mitglieder den Beruf eines Beamten, Lehrers, Universitäts-
lehrers oder Offiziers. Die Mitglieder der in Opposition zu Dynastie, Staat und
katholischer Kirche stehenden, (zunehmend) antisemitischen Burschenschaften
und der wehrhaften Vereine begannen sich erst im beginnenden 20. Jahrhundert
mehr und mehr dem Beamtenberuf zuzuwenden. Am Vorabend des Ersten Welt-
kriegs 1912 kamen aber bereits 54,7 % der Beamten aus diesen Reihen. Der Prozess
der Integration dieser Gesinnungsgenossen in den höheren Staatsdienst wurde
von den Deutschnationalen, die nach den Wahlen von 1911 die stärkste Gruppe
im Reichsrat stellten, kräftig gefördert. Die Angehörigen der Bürokratie versuch-
ten, die Staatsfeindlichkeit der neuen Mitglieder herunterzuspielen: „Waren die
Studentenjahre vorüber, das bunte Band abgetan und in den Schrank gelegt, so
verblasste bald die Mittelfarbe und im Philistertum, wenn aus dem flotten Bur-
schen ein ehrsamer Bezirksarzt, Gerichtsadjunkt, Bergrat oder Auditor geworden
war, verwandelte sich dann regelmäßig das Schwarz-Rot-Gold in ein waschechtes
und lichtbeständiges Schwarz-Gelb.“133 Aber dem scheint nicht ganz so gewesen
zu sein, wie spätere Entwicklungen zeigen.134 Die staatsloyalen und apolitischen
Corpsmitglieder und schon gar die zionistischen Verbindungsmitglieder kamen
in der Bürokratie an die Bedeutung von CV und Burschenschaften nicht heran.
Ihre Bedeutungslosigkeit im Staatsdienst wurde nur von den Frauen übertroffen.
Solche ungewohnten Rekrutierungspools mussten für die traditionellen Ver-
waltungseliten, Juristen und für die Regierung alarmierend gewirkt haben. Es
fanden sich Verwaltungsexperten, die sich nicht scheuten, ihre heftige Kritik öf-
fentlich kundzutun. Damit fand die (notwendige) Diskussion über das „Protekti-
onsunwesen“ Eingang in die Medien.135 Der bekannte Verwaltungsjurist Professor
132 GERNOT STIMMER, Zur Herkunft der höchsten österreichischen Beamtenschaft. Die Bedeu-
tung des Theresianums und der Konsularakademie. In: Student und Hochschule im 19. Jahrhundert.
Studium und Materialen (= Studium zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten
Jahrhundert 12, Göttingen 1975), S. 310–313, 318, auch STIMMER, Eliten in Österreich 1, S. 96–161.
133 SIEGHART, Die letzten Jahrzehnte, S. 264; siehe auch SCHIMETSCHEK, Der österreichische
Beamte, S. 211 f.
134 WALTRAUD HEINDL, Bürokratie und Beamte. In: Handbuch des politischen Systems Ös-
terreichs. Erste Republik 1918–1933, hg. von Emmerich Talos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch,
Anton Staudinger (Wien 1995), S. 90–104.
135 JOHANN ANKWICZ, Neue Gesichtspunkte in der neuen staatlichen Verwaltung (Wien
1908); JOHANN ANKWICZ, Die europäische Beamtenfrage. In: Österreichische Rundschau
28 (1911), S. 85–93; BROCKHAUSEN, Beamtentum und Protektion, S. 261–268.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277