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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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obersten Rangklasse I (Ministerpräsident) günstiger gestellt145 und 1868, im neuen
Verfassungsstaat, erhielten alle Beamten, deren Gehälter unter 1.050 Gulden la-
gen, eine Teuerungszulage. 1869 erhöhte man mit den Offiziersgagen auch die
Gehälter der Militärbeamten.146 Doch alle diese Maßnahmen genügten nicht. Die
Steigerung der Lebenshaltungskosten rief förmlich nach einer grundsätzlichen Re-
form des Besoldungswesens des Staatsdienstes.147 Die politische Konstellation war
in der Ära des Liberalismus für die Beamtenwünsche günstig, erstaunlich, da die
Deutschliberalen, die im Reichsrat dominierten, wirtschaftsliberal und damit eher
bürokratiefeindlich eingestellt waren. Doch den Beamten ging – in Erinnerung an
ihre Haltung im Jahr 1848 – der Ruf voraus, bürgerlich und liberal eingestellt zu
sein. Sozial gesehen war, wie bereits erwähnt,148 der Anteil des Hochadels laufend
zurückgegangen, er betrug beispielsweise in der Ministerialbürokratie nach 1867
nur ein bis zwei Prozent, um später wieder auf zwei bis drei Prozent anzusteigen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in der höheren Ministerialbürokratie und
– vorrangig – in den hohen Rängen der Länderverwaltung zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts an die 16 % Hocharistokraten vertreten. In diesen elitären Rängen gab es
allerdings nahezu 25 % Kleinadelige, die aufgrund ihrer treuen Dienste für Kaiser
und Staat neu in den Adelsstand (Dienstadel) erhoben worden waren. Einkom-
men und Lebensstil des sogenannten Dienstadels entsprachen durchaus jedoch
dem des Bürgertums. Fast 60 % der Beamten war ohne Adelsprädikat.149
Die liberalen Regierungen der 1870er-Jahre mochten zum einen damit speku-
liert haben, die offenbar gleich gesinnten Staatsdiener mit politischen Aufgaben
zu betrauen, wofür diese einer finanziell halbwegs unabhängigen Stellung bedurf-
ten. Zum anderen konnte auch eine liberale Regierung im Sinne eines reibungs-
losen Arbeitsablaufes nicht auf das loyale Wohlwollen und die Arbeitsfreude der
Beamten verzichten, sodass man sich besann, die Beamten im eigenen Interesse
zufriedenzustellen.
Die Beamten hatten ihrerseits nicht ungeschickt die Gunst der Stunde für ihre
Interessen genutzt und Druck auf die Regierung auszuüben begonnen. Schon 1865
145 Dazu RRPROT., Haus der Abgeordneten, VII. Session, 64. Sitzung am 1. März 1873, S. 1269.
146 MEGNER, Beamte, S. 93.
147 So auch die Argumentation im Abgeordnetenhaus, RRPROT., Haus der Abgeordneten, VII.
Session, 64. Sitzung am 1. März 1873, S.1269–1290.
148 Siehe Kapitel „Widersprechende Loyalitäten“.
149 STIMMER, Eliten in Österreich I, 406; Zählung der hohen Ränge durch URBANITSCH,
The High Civil Service Corps, S. 204 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277