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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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ein Beamter an die höchste Grenze seiner Rangklasse gestoßen und in der nächs-
ten Klasse keine Stelle frei war – was häufig geschah. Vor allem mussten die nach-
rückenden Generationen, die bei ihrer Einstellung besetzte Stellen vorfanden, mit
langsameren Schritten der Vorrückung rechnen. Sie hatten daher in der Regel
lange zu warten, weshalb die Beamtenvereine bereits ab den 1870er-Jahren eine
vom Rang unabhängige Vorrückung für die diesbezüglich höchst unzufriedenen
Beamten forderten. Diese wurde jedoch erst viel später umgesetzt.
Es war offensichtlich, dass durch das Gesetz von 1873 die Karrieremuster fixiert
werden sollten – an und für sich keine Neuheit, da bereits seit 1767 ein Schema
für den Staatsdienst festgelegt worden war.161 Innerhalb des neuen Rangklassensys-
tems wurde das Karrieremodell aber besser berechenbar. Trotz der heftigen Kritik,
die es von vielen Seiten, auch von den Beamten selbst gab, führte das neue Ge-
haltsgesetz tatsächlich im Allgemeinen zu einer Besserstellung der Beamten. Der
Hofdienst bot, so hat es zumindest den Anschein, noch mehr Chancen. Der Hof-
beamte Friedrich Mayr, der sich im Haushalts- und Rechnungswesen des Hofes
besonders verdient gemacht hatte, konnte 1875 – ohne abgeschlossenes Studium
– zum Hofrat ernannt werden, ein Status, der im Staatsdienst nur Akademikern
zustand. Das Gehalt von 5.000 Gulden jährlich162 entsprach ungefähr dem der
Staatsbeamten, allerdings gab es noch Zulagen in Form von Naturalien aus der
Hofküche, ein Relikt aus alter Zeit.
Zu den besseren Existenzbedingungen nach 1873 trugen allerdings noch das
Absinken der Lebenshaltungskosten und damit die Steigerung der Kaufkraft der
Beamtengehälter bei. Die unbestreitbaren Vorteile der Staatsbeamten mit ihren
zwar kleinen, aber sicheren Gehältern, den Dienstzulagen und der garantierten
Zeitvorrückung wurden gegenüber den „Privatbeamten“, etwa Bank- und Indus-
trieangestellten, die in der sogenannten Gründerzeit zunahmen und steile Karri-
eren machen konnten, in der Zeit der Depression nach dem Schwarzen Freitag
(1873) deutlich. Die Arbeitslosigkeit mehrte sich sprunghaft. Die Besoldung der
Beamten stagnierte zwar wieder aufgrund der langen konjunkturellen Stagnati-
onsphase bis in die 1890er-Jahre, doch der Lebensstandard der Staatsdiener stieg
seit den 1870er-Jahren erheblich an.
161 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 174–178.
162 FRIEDRICH FREIHERR von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 52. MAX
FREIHERR von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 147, PRIVATARCHIV
DER FAMILIE HENCKEL-DONNERSMARCK (weiterhin PA HENCKEL-DON-
NERSMARCK), ich danke für die Überlassung des Manuskripts sehr herzlich Frau Elisabeth
Henckel-Donnersmarck und Herrn Dr. Peter Rauch.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277