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7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung
selbst, indem sie auf die Erfüllung ihrer eigenen sozialen Wünsche nicht vergaßen.
Die wechselseitige Abhängigkeit von Regierung, (Parlaments-)Parteien und Büro-
kratie hatte sich für die Beamten als nicht zu unterschätzender Vorteil erwiesen,
der ihnen ihre Privilegien sicherte. Durch ihr Dienstverhältnis waren sie aus der
Masse der Angestellten herausgehoben, da diesem kein privatrechtlicher Vertrag,
sondern ein hoheitsrechtlicher Akt vonseiten des Staates zugrunde lag, der zwar
den Beamten für sein ganzes Leben und über den Tod hinaus in die Pflicht nahm,
doch dafür eine ganz ansehnliche Reihe von Vorteilen bot. Beamte genossen
Befreiung von Gemeinde-, Landesumlagen und den Grundentlastungs-Fonds-
zuschlägen, das Wahlrecht aufgrund ihres Status (von dem schon die Rede war)
sowie das Heimatrecht „ex officio“ am Dienstort, das ihnen nach der Heimat-
rechtsnovelle von 1896 nach dem Amtsantritt am Dienstort zugesichert wurde,186
eine wichtige Maßnahme, sollte einer von ihnen in Not geraten. Das Heimatrecht
sicherte ihnen in diesem Fall (sowie allen anderen Staatsbürgerinnen und Staats-
bürgern), den Lebensunterhalt durch die Heimatgemeinde zu, eine Pflicht, der
die Gemeinden zwar nicht gerne nachkamen, doch zu der sie per Gesetz verpflich-
tet waren.187 Den Staatsdienern kam ein besonderer strafrechtlicher Schutz bei
Ausübung ihres Dienstes zu, und sie erfreuten sich bestimmter Beschränkungen
von Gehaltsexekutionen.188 Ein Pensionssystem – auch für Witwen und Waisen –,
das sich nach den Dienstjahren orientierte, ein Pensionsantrittsalter seit 1896 mit
60 Jahren, falls man 35 Dienstjahre aufweisen konnte, nahm ihnen die Angst vor
einem Alter in Armut.189 Um die Jahrhundertwende betrug die Höhe der Pensi-
onen nach 10 Dienstjahren 40 % des Aktivgehalts, nach jedem weiteren Dienst-
jahr um 2 % mehr. Sie konnten öffentliche Verkehrsmittel ermäßigt und in einer
besonderen Wagenklasse benützen. In den Staatstheatern blieben preiswerte oder
nicht bezahlbare Plätze für hohe und höhere Beamte reserviert.190 1912 wurde in
Wien das Privat-Krankenhaus „Goldenes Kreuz“ errichtet, das klein aber fein er-
186 Gesetz vom 5. Dezember 1896, RGBL. Nr. 222/1896, HUGELMANN, Nationalitätenrecht, S. 280.
187 HARALD WENDELIN, Schub und Heimatrecht. In: Grenze und Staat. Passwesen, Staats-
bürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–
1867, hg. von Waltraud Heindl und Edith Saurer unter Mitwirkung von Hannelore Burger und
Harald Wendelin (Wien/Köln/Weimar 2000), S. 195–214.
188 Über die Beamtenrechte- und Pflichten informiert im Detail MA�RHOFER-PACE, Handbuch
des politischen Verwaltungsdienstes I, S. 61–273;
189 URBANITSCH, The High Civil Service Corps, S. 199.
190 Max Mayr berichtet von Besuchen in den Hoftheatern „Burg und Oper“, wo für Hofbeamte
bei freiem Eintritt – je nach Rang – Plätze reserviert waren, MAX FREIHERR von MA�R,
Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 127–139, PA HENCKEL-DONNERSMARCK.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277