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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
von Postmeistern und kleinen Beamten, doch schnell weitete sich dieses weibli-
che Berufsfeld aus. 1878 gab es bereits 140 Frauen im Telegrafendienst, die man
dafür für besonders geeignet erachtete, weil sie meist gute Französischkenntnisse
besaßen und, so meinte man, zarte Frauenhände das Tippen von Morsezeichen
bestens bewältigten. Die Postenbesetzung mit weiblichen Angestellten erwies sich
als rentabel für den Staat. Zunächst arbeiteten die Frauen gegen geringes Taggeld,
später gegen eine weit geringere Besoldung als Männer.
Um 1900 versahen bereits 8.950 Frauen den Dienst für den Staat oder für
staatsnahe Betriebe, allerdings stand ihnen nach wie vor ein recht enges Ange-
bot an Berufen zur Verfügung. 5 % finden wir als Beschäftigte bei den Staatsbah-
nen, 3 % bei der Postsparkasse, bei der Polizeidirektion Wien arbeiteten 91 (1 %)
weibliche Angestellte, in der Handelsstatistik, im statistischen Dienst sowie in der
Statthalterei für Niederösterreich in Wien gab es gar nur 40 Frauen, das war ein
halbes Prozent der dort Beschäftigten. Die nichtärarischen Postanstalten, also der
nicht „echte“ Staatsdienst, mit 56 % weiblichen Angestellten war nach wie vor das
größte Berufsfeld für Frauen. Die Einführung des Telefons eröffnete den Frauen
weitere Möglichkeiten. Sie wurden ihrer hellen, gut verständlichen Stimmen we-
gen bevorzugt aufgenommen, und ab 1898 konnten die „echten“ Postbeamtinnen
definitiv gestellt werden,197 weil sich das Handelsministerium vermutlich die billi-
gen Arbeitskräfte sichern wollte.
Das war ein schüchterner Anfang und ein langer Weg, der vor den Frauen im
Staatsdienst lag, denn die echten Karrieren blieben ihnen weiter verschlossen.
Grundsätzlich lag es an der mangelnden höheren schulischen Vorbildung, denn
sie hatten am Beginn der 1890er-Jahre weder Zugang zu den Gymnasien, dessen
Besuch für die mittlere Beamtenlaufbahn verlangt wurde, und schon gar nicht zu
den Universitäten und Hochschulen, deren Absolvierung für den höheren Dienst
zwingend vorgeschrieben war.198 1897 stand zwar den Frauen der Zugang zur phi-
losophischen Fakultät, 1900 der zur medizinischen Fakultät und zu den pharma-
zeutischen Studien der Universität offen, und bald nach der Jahrhundertwende
197 HEIDI NIEDERKOFLER, „… und halten wir es für äußerst peinlich, einen bestehen-
den Spalt in die Öffentlichkeit zu zerren“; Annäherungen an die Postbeamtinnen-Vereine,
Beamtinnensektion und Reichsverein (phil. Diplomarbeit, Universität Wien 2000), S. 28 f.
CHRISTIANE STEINER, Die Anfänge der Frauenarbeit im Staatsdienst am Beispiel der ös-
terreichischen Post- und Telegraphenanstalt 1869–1919 (phil. Diplomarbeit, Universität Wien
1994), S. 75. Ich danke für diesbezügliche Anregungen meiner ehemaligen Studentin Mag.a Dr.in
Ilsemarie Walter.
198 Siehe Kapitel „Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277