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9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme
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habe alle Kunstrichtungen gefördert und sei den viel geschmähten Secessionisten
mit Sympathie gegenübergestanden. Entgegen der landläufigen Meinung sei das
Ministerium, so urteilt Van Heerde, der beste Kenner der ministeriellen Kunst-
förderung, auch in nationalitätenpolitischer Beziehung in der Kunstförderung ge-
recht und neutral vorgegangen, man habe versucht, national auszugleichen und die
Kunst der verschiedenen Nationen zu fördern.232 „Das bei den Beamten weit ver-
breitete liberale Gedankengut“ hätte sich im Bereich der Finanzierung der Kunst
unter Einbeziehung von Privatpersonen positiv ausgewirkt.
Die zeitgenössischen und heutigen Urteile widersprechen der weit verbreiteten
Meinung, die Rolle der Bürokraten bei der Förderung der Kunst sei konservativ
gewesen und der Moderne ablehnend gegenübergestanden.233 Van Heerde meint,
dass erst der Staat, in unserem Fall in der Gestalt des Unterrichtsministeriums,
durch die Förderungen die Bedingungen für die außergewöhnliche Blüte der
Kunst in Österreich um 1900 geschaffen habe. Außer der von Fachleuten besetz-
ten Kunstkommission und dem Kunstrat hätte es vonseiten der Dynastie – selbst
bei gänzlich anderem Kunstgeschmack – kaum Einmengung in die Agenden des
Ministeriums gegeben. „Es war also der habsburgische Verwaltungsapparat“,
so Van Heerde, „der auf selbständige Weise die staatliche Kunstpflege gestalten
konnte, was symptomatisch für die Tatsache ist, dass die Beamtenschaft der aus-
schlaggebende Faktor im politischen Leben der letzten zwei Dezennien der Mon-
archie war.“234
Die gebildeten bürokratischen Eliten hatten nicht nur in Angelegenheit der
Kunst starken Einfluss ausgeübt. Politischer Einfluss durch die Bürokratie wurde
allein durch Kompetenzverteilung in den „Königreichen und Ländern“ aus-
geübt. So war seit der Bach’schen Verwaltungsreform die Finanzverwaltung in
den Ländern, die selbstverständlich in Sachfragen dem Finanzministerium un-
terstand, dem Statthalter unterstellt, der Finanzlandesdirektor war „sein“ Vize-
präsident.235 Dies bedeutete, dass jede steuerliche Amtshandlung, beispielsweise
jede Steuerexekution, der Bewilligung der Statthalterei bzw. der untergeordneten
Behörde des Bezirkshauptmanns bedurfte, somit als ein Akt der politischen Ver-
waltung erschien. Dem Statthalter bzw. dem Bezirkshauptmann war durch die
steuerliche Oberhoheit ein bequemes Mittel in die Hand gegeben, in Wahlzeiten
232 Van HEERDE, Staat und Kunst, S. 92 und 326.
233 Van HEERDE, Staat und Kunst, S. 20.
234 Zum Folgenden Van HEERDE, Staat und Kunst, S. 326.
235 Siehe ANHANG I.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277