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Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 175 sene Kaste „mit besonderen Regeln, Traditionen, Übungen, Anschauungen“, und daher die Sitte der Selbstrekrutierung geißelten: Die Kinder dieser Staatsangestell- ten, so der Verwaltungsfachmann Ankwicz, wüchsen in dieser fremden Welt auf und würden im Grunde genommen zumeist selbst weltfremd. In einem Milieu, „in dem selbständige Regungen fehlen, in dem das graue Alltagsleben durch das Prisma der Beamtenwürde gesehen wird“, stünden sie hilflos da und verließen „ihre kleine Beamtenwelt nicht“. Sie suchten „in der Anlehnung an den Staat, in der Staatsanstellung ihr Lebensziel“.282 In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, ob sie tatsächlich Anlehnung an den Staat oder doch eher an ihren obers- ten Dienstherrn Franz Joseph suchten. Er war konkreter und verlässlicher als das Abstraktum Staat mit seinen vielen nicht mehr durchschaubaren Problemen, der vielen Beamten zunehmend nebulos und unverständlich erschienen sein musste. Ankwiczs Beobachtungen mögen für manche, vor allem für die nicht hoch- gestellte Beamtenwelt, zutreffend gewesen sein. Ankwicz selbst als Hofrat in den oberen Etagen der Hierarchie angesiedelt, hätte sich freilich mit dieser angstvollen Flucht in einen bürokratischen Kastengeist niemals identifiziert. Wir haben es in diesem Fall mit dem Blick des höheren Beamten auf die unteren Ränge zu tun. Johann Ankwicz gehörte zu den hohen Staatsdienern, die ein Sozialprestige errun- gen hatten, das mit dem von ihm zitierten „grauen Alltagsleben“ und der „kleinen Beamtenwelt“ nichts gemein hatte. So wie für viele andere nicht! Anders wäre es nicht zu erklären, dass gelehrte und hoch geachtete Universitätsprofessoren in den Staatsdienst überwechselten oder auch beide Ämter, den Staats- und den Univer- sitätsdienst, versahen und stolz den Titel Hofrat vor dem Universitätsprofessor trugen. Als nur einige wenige Beispiele wären zu nennen: der Sozialreformer, Be- amte im Justizministerium und schließlich Finanzminister Emil Steinbach; der sozialliberale Reformer, Beamte im Justizministerium und Politiker Joseph Maria Baernreither; der schon erwähnte Altphilologe, später Sektionschef und Minister für Cultus und Unterricht, Wilhelm Ritter von Hartel; der Professor des Kirchen- rechts, später Sektionschef und Ministerpräsident Max Ritter von Hussarek-Hein- lein; der Professor für klassische Philologie an der Universität Lemberg Ludwik �wikliński, der in das Ministerium für Cultus und Unterricht wechselte und zum Sektionschef, später im Ersten Weltkrieg zum Minister für Cultus und Unterricht ernannt wurde.283 Staatsdienst und Wissenschaft waren im Verfassungsstaat eine 282 ANKWICZ, Die europäische Beamtenfrage, S. 87 und 93 f. 283 Zu Steinbach vgl. FRITZ, Finanzminister Emil Steinbach; zu Joseph Maria Baernreither siehe JOSEF REDLICH, Einleitung zu: JOSEPH M. BAERNREITHER, Fragmente eines poli-
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Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Josephinische Mandarine
Subtitle
Bürokratie und Beamte in Österreich
Author
Waltraud Heindl
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78950-5
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
336
Keywords
Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
    1. 1. Theoretische Überlegungen 17
    2. 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie 24
    3. 3. Definitionen, Details und Daten 26
  3. II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
  4. III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
    1. 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
    2. 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
    3. 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
    4. 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
    5. 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
  5. IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
    1. 1. Wandel der politischen Strukturen 85
    2. 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
    3. 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
    4. 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
    5. 5. Nationale Illustrationen 106
    6. 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
    7. 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
    8. 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
    9. 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
    10. 10. Generationenkonflikte um 1900 160
  6. V. Das soziale Umfeld 165
    1. 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft 165
    2. 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 168
      1. Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung 170
      2. Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform 177
      3. Umgangsformen im Amt 180
      4. Arbeitszeit und Amtsräume 184
      5. Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten 187
    3. 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude 190
    4. 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital 198
      1. Amtsroutine im Privatleben? 198
      2. Bürgerlicher Lebensstandard?
      3. Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen 200
      4. Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit 209
      5. Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke 221
      6. Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung 229
  7. VI. Inszenierungen 235
    1. 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder 235
    2. 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse 244
  8. VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
    1. 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? 253
    2. 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? 260
    3. 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski 267
  9. VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277
    1. Anhang 285
    2. Bildnachweis 285
    3. Abkürzungsverzeichnis 286
      1. I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates 287
      2. II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen 288
    4. Quellen-und Literaturverzeichnis 290
    5. Archivalische Quellen 290
    6. Gedruckte Quellen 291
    7. Autobiografische Schriften 295
    8. Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur 298
    9. Sekundärliteratur 299
    10. Sachregister 313
    11. Namenregister 317
    12. Ortsamenregister 321
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