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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede
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um den Wahrheitsgehalt des Grunds, der für die Verspätung angegeben wurde, zu
überprüfen: Im vorliegenden Fall war ein Maschinenschaden, der in Bombay be-
hoben werden musste, als Entschuldigung angegeben, dass das Schiff des Triester
Lloyd 24 Stunden verspätet in Singapur ankam, was von der Seebehörde in Triest
und dem Handelsministerium bestätigt worden war. Damit gab sich jedoch der
Leiter der Abteilung im Finanzministerium nicht zufrieden und beauftragte die
Finanzdirektion in Triest, dem Fall nachzugehen. Diese fand den Koch des be-
sagten Schiffes, der einen ganz anderen Grund der Verspätung angab: Der Kapi-
tän habe in einem Hafen auf eigene Rechnung Güter geladen, habe also gelogen,
als er den Maschinendefekt als Entschuldigungsgrund heranzog. Es geschah, was
in einem bürokratischen Apparat geschehen musste. Dem Handelsministerium
wurde triumphierend die neue Sachlage mitgeteilt und ihm damit seine „Schlam-
perei“ bei der Überprüfung vorgeworfen, was dieses nicht akzeptieren wollte und
eine neuerliche Kontrolle des Tatbestands ankündigte. Diese ergab (was wiederum
triumphierend dem Finanzministerium mitgeteilt wurde), dass die Angaben des
Schiffskochs unwahr gewesen seien und auf gewisse Differenzen zwischen Kapitän
und Koch zurückgeführt werden konnten. Die Sache endete mit einem Sieg des
Handelsministeriums, weil das Finanzministerium die Aussage des Kochs nicht
beweisen konnte. Dieses zahlte die kleine Summe an Meilengeld, die alles in allem
in der atemberaubenden Zeit von einem halben Jahr erledigt worden war. Die
Kontrolle der Kontrolle des Handelsministeriums durch die Kontrolle des Finanz-
ministeriums hatte ehemals, laut Kleinwaechter, ein findiger Beamter, der seine
Agenda ausweiten wollte, erfunden.
Andere Absonderlichkeiten lagen in so mancher nicht logischen Kompetenz-
verteilung der Behörden, wodurch der Geschäftsgang aufgebläht wurde, zum Bei-
spiel bei der Finanzverwaltung in den Kronländern, die zwar dem Finanzministe-
rium, im Land jedoch seit der neoabsolutistischen Reform der Statthalterei, also
der politischen Verwaltung, und damit auch dem Innenministerium unterstand,
wodurch Bach seinen Einfluss und eine allumfassende Kontrollmöglichkeit in al-
len Ländern sichern wollte. In der Praxis konnten damit weiterhin jeder Statthal-
ter oder das übergeordnete Innenministerium jederzeit auf Steueragenden Einfluss
nehmen, sich aber auch jeden Akt zur Einsichtnahme vorlegen lassen und damit
beträchtliche Macht ausüben.327 Die Möglichkeiten von Konfliktzonen, die unan-
gemessene Verzögerungen verursachten, liegen auf der Hand.
327 Siehe Kapitel „Macht und Ohnmacht“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277