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3. Verbindende Gemeinsamkeiten
Der „ministerielle Stil“ betraf die Art der Anrede, der Höflichkeitsfloskeln, kurz
gesagt den Schreibstil und den schriftlichen Umgangston der Behörden unterein-
ander, der umso gewundener, höflich-bombastischer und obrigkeitsstaatlicher zu
sein hatte, je höher die Behörde war, worauf in den Ministerien und höheren Be-
hörden höchster Wert gelegt wurde.330 Einer Bezirkshauptmannschaft konnte unter
Umständen (wenn der Bezirkshauptmann nicht gerade einer berühmten Familie
entstammte) kurz geantwortet werden, unmöglich war eine solch bündige Antwort
an eine „hohe“ Behörde. An den k. k. Verwaltungsgerichtshof zum Beispiel hatte
eine Anfrage mit einer Gegenschrift mit „wunderbaren Übergängen“ beantwortet
zu werden, die „wie ein mächtiger breiter Strom […] durch die fruchtbare Ebene
der Beweisführung hin“ floss, „bis sie sich in den Schlussantrag ergoß: Das k. k.
Finanzministerium erlaubt sich daher, an den hohen k. k. Verwaltungsgerichtshof
den Antrag zu stellen, aus den vorstehend angeführten Gründen, die gegen die hier-
ortige Entscheidung vom … Zahl … eingebrachte Beschwerde des … abzuweisen.“
So blumenreich schildert uns der Finanzbeamte Kleinwaechter den Schreibstil der
hohen Behörden untereinander. Auch Rügen hatten eine besondere Wortwahl auf-
zuweisen: „Unliebsam wurde bemerkt, dass …“ oder die Behörde „wird zur Ver-
meidung derartiger unliebsamer Vorkommnisse angewiesen, in Hinkunft ihr Au-
genmerk zu richten, dass …“. Oder „das Finanzministerium würde sich ansonsten
gezwungen sehen … derartige Vorfälle unter gar keinen Umständen zu dulden“, etc.
Aus den kleinen Beispielen tritt ein Charakteristikum klar hervor, das ist die
distanzierte und kühl-zurückhaltende Form, die offenbar den eigentlichen „minis-
teriellen Stil“ ausmachte, ja es zählte zu den wesentlichen Aufgaben der Behörden,
in den Schriftstücken das streng „unpersönliche“ Gewand zu wahren, in dem sich
das österreichische Amt nach außen zu präsentieren hatte. „Niemand spricht in
der ersten Person, niemand wird angeredet: – ‚Es wird ersucht‘ – ‚Es ist verboten‘
– ‚es wird mitgeteilt‘ – ‚Es ist sich zu wenden‘“, so schildert uns Friedländer den
Stil des österreichischen Amtes und begründet es mit der Macht des Amtes, hin-
ter dem der Beamte vollkommen zurückzutreten hatte. Bei Amtsantritt habe der
wichtige Imperativ an die Adresse eines jeden Beamten durch den Vorgesetzten
gelautet: „Sie sind niemand – Sie haben gar keine Macht, das Amt hat Macht, und
Sie üben nur die Macht des Amtes aus – Sie haben daher niemals ‚ich‘ zu sagen
– Sie haben niemanden etwas zu befehlen – das Amt befiehlt […] das Amt darf
anschaffen.“331
330 Zum Folgenden KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 54 f. und 49 f.
331 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 69.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277