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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
beachtliche Karriere vom Bezirksrichter zum Hofgerichtsrat in Prag zurückgelegt
hatte, folgendermaßen: „Das Leben der Stránskýs in Mělník war sehr regelmäßig,
regelmäßiger als die Uhr. Das war das Verdienst des Großvaters. Er brachte in den
Haushalt seine Kanzleigewohnheiten ein und hielt daran bis zu seinem Tode fest.
Niemand traute sich, sein Tagesprogramm zu stören, am wenigsten meine Groß-
mutter, die zwar sonst sehr selbständig war, aber durch die damalige Erziehung
angehalten worden war, in ihrem Mann das ,Oberhaupt der Familie‘ und den
‚Haushaltsvorstand‘ zu sehen und ihn stets zu respektieren. Das Vermögen ver-
waltete sie nach ihrem Gutdünken, aber die Ordnung, die er im Haus einführte,
nahm sie ohne Widerrede an, auch wenn sie manchmal gegen ihren Sinn war. Um
sieben Uhr in der Früh standen wir auf, und zum Frühstück kam der Großvater
schon ganz angezogen, als ob er sofort ins Büro weggehen wollte. Er frühstückte
nur puren Tee ohne Gebäck, während alle übrigen Milchkaffee tranken.“347 Die
amtliche Routine wirkte, wie uns die Enkelin Ludmila berichtete, über das Amts-
leben hinaus noch im Pensionsalter nach. Auch der alte Adolph Freiherr von
Pratobevera trug noch trotz seines Augenleidens wichtige politische und andere
Ereignisse in sein Tagebuch ein,348 wie der junge es gemacht hatte. Die Belletristik
nahm sich des Themas häufig an, zeichnet aber diese Übertragung des Amtslebens
auf die private Lebenswelt als eher kurios. Sabine Zelger berichtet uns von einer
Reihe solcher Romane.349 In Ergänzung soll hier der heute fast vergessene Roman
des 1876 geborenen Journalisten und Feuilletonisten Karl Tschuppik, der Leute
und Gebräuche der Monarchie noch gut kannte, „Ein Sohn aus gutem Haus“,
angeführt werden, in dem die Amtsroutine des Ministerialrates d’Adorno das Le-
ben der gesamten Familie gestaltete.350 Dieser Beamtentypus war kein Einzelfall,
das Weitertragen des Amtlichen gehörte zu seinem eigentlichen Habitus, prägte
das allgemein gängige Bild von der Mentalität der Beamten. Im Übrigen bestätigt
sich im weiten Feld der Amtsdisziplin die These von Michel Foucault, dass die
Disziplin eine der wichtigsten Strategien staatlicher Macht bedeute,351 die, wie die
Beispiele zeigen, nicht nur das Berufs-, sondern auch das Privatleben durchdrang.
347 MATIEGKA, MATIEGKOVÁ. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 293 und 308.
348 Nachlass Pratobevera, Karton 13, Tagebücher 1865–1875, HHSTA.
349 ZELGER, Das ist alles viel komplizierter, S. 256–273.
350 KARL TSCHUPPIK, Ein Sohn aus gutem Haus (Ersterscheinung: Amsterdam 1937, verfilmt
1989 unter der Regie von Karin Brandauer). Ich danke Herrn Dr. Herbert Krejci für diesen
Hinweis.
351 Siehe zum Beispiel MICHEL FOUCAULT, Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses (Frankfurt am Main 1994), S. 175.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277