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V. Das soziale Umfeld
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der Bürokratie kein Platz war, zudem hatten die Härten des Lebens gemeistert zu
werden, und diese waren beträchtlich.
Angehörige der Literaturwissenschaften haben sich mit der Mentalität und
dem Selbstverständnis des bosnischen Beamtentums intensiver beschäftigt als
Historikerinnen und Historiker. Aufgrund des Bildes des Beamten in der süd-
slawischen Literatur, das die national so inhomogene, nicht zuordenbare Zusam-
mensetzung der österreichisch-ungarischen Bürokratie in Bosnien nachzeichnet,
schließt Zoran Konstantinović, dass der „Typ des übernationalen österreichischen
Beamten“ in Bosnien in „seiner allercharakteristischsten Weise ausgeprägt war“.447
Leijla Čampara untersuchte jüngst in ihrer Dissertation das Bild der in Bosnien
dienstverpflichteten Beamten in der deutschsprachigen Literatur (die teilweise
von Beamten, also „Insidern“, geschrieben wurde) in einer Reihe von Romanen.
Sie schildert aufgrund dieser Literatur die dramatische Lage sowohl für die
Bosnier als auch für die österreichisch-ungarischen Beamten. Die Arbeit der dor-
tigen Staatsdiener sei zwar vielfältig, jedoch aufreibend und frustrierend gewesen,
da ihnen die „wohlwollende Fürsorge“, ihr guter Wille, „Zivilisation“ in das Land
zu bringen, von der Bevölkerung nicht honoriert wurde. Die Beamten bewiesen,
so die Autorin, „ehrliches Engagement“, moderne Gesetze durchzusetzen, soziale
Maßnahmen und medizinische Förderungen ins Leben zu rufen, zu denen etwa
auch die Berufung weiblicher Ärzte gehörte, die sich der Versorgung der muslimi-
schen Frauen, die sich von männlichen Ärzten nicht untersuchen ließen, widme-
ten. Die Maßnahmen wurden zwar anerkannt, aber der muslimische, später der
serbische Widerstand gegen die Fremdherrschaft war den Einwohnern Bosniens
und Herzegowinas letzten Endes wichtiger448 als die Verbesserung, die dem Land
und ihnen selbst zugutegekommen wäre. Die Beamten kamen mit manchen für
sie fremden Unsicherheiten nur schwer zurecht: Sie verstanden die Multikonfessi-
onalität Bosniens nicht, die staatsrechtliche Lage blieb bis zur Annexion 1908 un-
klar und die eigenen Militärs machte ihnen mit einer Parallelherrschaft zu schaf-
447 ZORAN KONSTANTINOVI�, Ivo Andrić, … und dann kamen die österreichischen Beam-
ten. In: Im Takte des Radetzkymarschs … Der Beamte und der Offizier in der deutschsprachi-
gen Literatur, hg. von Joseph P. Strelka (= New �orker Beiträge zur österreichischen Literaturge-
schichte 1, Bern/Wien 1994), S. 85.
448 LEJLA ČAMPARA, „Wie wir im 78er Jahr unten waren […]!“ Bosnien-Bilder in der deutsch-
sprachigen Literatur (phil. Diss., Universität Wien 2010), S. 321–339. Folgende Romane wur-
den untersucht: Heinz Schlick, Wolfgang Dahlen. Der Werdegang eines bosnischen Beamten,
Dresden 1909; Stanko Stankić, Vila. Ein Bild aus dem Leben des bosnischen Volkes, Brünn 1913;
Ernst Josef Uiberacker, Der Herr auf Zombor. Roman aus des Okkupation Bosniens, Graz 1938.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277