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VI. Inszenierungen
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gangene Reich betrachtet werden konnte, daher eine Paraderolle in Belletristik,
Theater und Film einnahm. Bereits in den 1960er-Jahren wies Claudio Magris
ausführlich auf dieses Phänomen hin, Wendelin Schmidt-Dengler machte da rauf
aufmerksam, und neuerdings widmete die Wiener Literaturwissenschaftlerin Sa-
bine Zelger dem Thema Bürokratie in der österreichischen Literatur eine umfang-
reiche und gut recherchierte Studie, in der sie viele Werke des 20. Jahrhunderts,
die Beamten gewidmet sind, analysiert. Der Sozialwissenschaftler Helmut Kuz-
mics sowie der Politikwissenschaftler Roland Axtmann stützen sich auf literari-
sche Zeugnisse über Beamte und Bürokratie, um den sogenannten „nationalen
Habitus“ des „Österreichischen“ herauszufiltern, den sie von Autorität und Ser-
vilität gezeichnet sehen. Ursache ist ihrer Studie zufolge der lange obrigkeitsstaat-
liche Bürokratisierungsprozess, der den wenig couragierten, obrigkeitsgläubigen
Habitus konstruierte, den sie im Gegensatz zum englischen „Nationalcharakter“
sehen.469 Die These könnte überzeugen, trotzdem scheint sie mir angesichts der
vielen anderen Beispiele aus Geschichte und Gegenwart zu simplifizierend. Es
gibt auch andere literarische Beispiele als die von den beiden Autoren angeführ-
ten. Die Themen Beamte und Bürokratie bleiben als Favoriten im Übrigen nicht
auf die österreichische Literatur beschränkt, sie nehmen auch in anderen Litera-
turen, der englischen, französischen, italienischen, russischen und deutschen etc.,
einen breiten Raum ein.470 Allerdings meint Wendelin Schmidt-Dengler: „Die
Affinität von Beamtentum und Literatur scheint nirgends so ausgeprägt wie in der
österreichischen Literatur.“ Die Syntax des Amtes, so Schmidt-Dengler, habe sich
zur selbstständigen Kunstform entwickelt.471
Amt und Literatur hingen auf eine einleuchtende und gar nicht geheimnisvolle
Art zusammen. Durch die intensive Sprachausbildung der österreichischen Juris-
ten durch Joseph von Sonnenfels’ berühmtes Lehrbuch „Geschäftsstyl“ war die
Sprache der Beamten für die Entwicklung der österreichischen Literatur äußerst
469 MAGRIS, Der Habsburgische Mythos; WENDELIN SCHMIDT-DENGLER, Der Herr im
Homespun. Zum Typus des Beamten in der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts.
Manuskript des Vortrags gehalten am 2. Juni 1999 im Rahmen eines Symposiums über Beamte
an der Universität Wien. Ich danke Frau Univ.-Doz. Dr. Eveline List, der Leiterin des Symposi-
ums, für die Überlassung des Manuskripts; SABINE ZELGER, Das ist alles viel komplizierter;
HELMUT KUZMICS und ROLAND AXTMANN, Autorität, Staat und Nationalcharakter.
Der Zivilisationsprozess in Österreich und England 1700–1900 (Opladen 2000), englische
Übersetzung: Authority, State and National Character. The Civilizing process in Austria and
England, 1700–1900 (Aldershot 2006).
470 Siehe z. B. Zusammenstellung bei ZELGER, Das ist alles viel komplizierter, S. 399–402.
471 SCHMDT-DENGLER, Der Herr im Homespun, S. 107.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277