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2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse
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wussten, dass sie von diesen Tugenden eventuell weit entfernt waren. Selbstzeug-
nisse tragen so entscheid zum Entstehen einer kollektiven Erinnerungskultur
von Beamten und über Beamte bei. Die Beamten werden im Allgemeinen nicht
müde, die von ihnen gewünschte soziale Zugehörigkeit zur bürgerlichen Schicht
mit allen Gewohnheiten, die von dieser als „comme il faut“ betrachtet wurden,
zu demonstrieren. Eindrucksvoll und geradezu klassisch (im Sinn Bourdieus, der
genau diese Gruppe von Menschen bei seinen Untersuchungen im Visier hatte)
wird damit, wie bereits erwähnt, ihr symbolisches Kapital präsentiert. In vielen
Fällen mag diese Darstellung dem Beweis der „gutbürgerlichen“ Lebensführung
und der entsprechenden Weltanschauung gedient haben, möglicherweise um die
nicht ganz so „gutbürgerliche“ Herkunft und das entsprechende Kapital, das Be-
amten (in nicht ganz hohen Rängen) für gewöhnlich fehlte, zu ersetzen.
Selbstverständlich ist zu kalkulieren, für welche Zielgruppe „inszeniert“ wurde,
ob die privaten Aufzeichnungen für persönliche Zwecke, für die Familie oder für
eine Publikation geschrieben wurden. In diesem Zusammenhang sei vermerkt,
dass die Lebensdarstellungen der Beamten im Allgemeinen ausführlich auf Jugend
und Studienzeit, auf Lebensführung, Geschmack, Gewohnheiten, Freundeskreise,
Besuchsrituale eingehen.
Das Bild des idealen Beamten, das in den Selbstzeugnissen plastisch hervor-
tritt, musste notgedrungen mit dem Beamtenethos übereinstimmen, daher gibt es
in den Selbstbeschreibungen keine nachlässigen und faulen Beamten. In den Be-
schreibungen der Kollegen werden freilich weniger glanzvolle, sondern auch viele
graue Existenzen in den Ämtern deutlich, achtlose und säumige, unbegabte, nur
zum Schein aktive Bürokraten, die sich markant vom glanzvollen Selbstbild abhe-
ben. Trotzdem sind sie für diese Untersuchung wichtig: Die Selbstbilder, die sich
die Staatsdiener in ihren Erinnerungen zurechtzimmerten, sind vielleicht wenig
ausschlaggebend für die Konstruktion der Realität, dafür umso bedeutungsvoller,
um die „basic personal characteristics“, um mit Norbert Elias zu sprechen,497 den
„Geist“, die „Mentalität“ der hohen Bürokratie herauszufinden.
Es gab den Aussagen der Beamten zufolge eine stillschweigende Übereinkunft
in Beamtenkreisen, welche Eigenschaften „der ideale Beamte“ besitzen sollte. Die
Frage ist, ob im Laufe der Zeit neue Qualitäten in den Vorstellungen der Staats-
diener hinzukamen – und wenn ja, welche.
Im Jahr 1848 beschreibt Wilhelmina Salzgeber in einem Brief an ihre Toch-
ter Minna Russegger alle Vorzüge und Kenntnisse ihres Mannes, die ihn ihrer
497 ELIAS, Die höfische Gesellschaft, S. 172.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277