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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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zugunsten der bürokratischen Rationalisierung entschieden, das heißt, diese Geg-
nerschaft war weniger brisant geworden, doch die Kontroversen um Staatspatrio-
tismus und Sprachnationalismus, kritischer öffentlicher Meinung und autoritärer
Repression standen mehr denn je im Brennpunkt des politischen Lebens, und
die Rolle der Bürokratie in diesem Geflecht hatte sich (wie bereits angesprochen)
komplizierter gestaltet.521 Leslie Bodi ist daher zuzustimmen: Die Problematik
hatte sich im Prinzip nicht geändert und auch „josephinisches Beamtentum“ war
im Staats- und Gesellschaftsleben der ausgehenden Habsburgermonarchie ein
nicht wegzudenkender Begriff mit (vorwiegend) positiv besetzter Qualifikation.
Franz Joseph I. war allerdings weit entfernt von einem Joseph II., der bewusst
an der Ausformung eines guten Beamtentums gearbeitet hatte. Jedoch – obwohl
er sich gerne in der Offiziersuniform zeigte, hatte er eine Beamtenseele. Er be-
kannte sich indirekt dazu, als er in der Volkszählung 1910 als Beruf „selbständiger
Beamter“ angab.522 Für den Regenten eines Riesenreiches eine merkwürdige Be-
rufsangabe! Er war sicherlich, wie bereits angedeutet, bis zu seinem Lebensende
der Auffassung, dass die Staatsdiener weniger Diener des Staates, sondern in erster
Linie kaiserliche, also „seine“ Beamten zu sein hatten. Die Schwierigkeiten, die
so mancher Angehörige der Bürokratie mit dieser Rolle hatte,523 ignorierte er. Er
erwirkte offenbar wegen seiner hohen bürokratischen Sachkenntnisse den Re spekt
seiner Beamten. „Der Einfluss, den er [der Kaiser] auf seine Beamten ausübt,
ist ein unausgesprochener“, konstatiert Friedländer. „Er versteht es, durch seine
ruhige, überlegene Majestät die Leute zu bändigen und einzudämmen.“524 Und
Robert Ehrhart, der es wissen musste, war er doch dem Ministerratspräsidium
zugeteilt und Sektionschef, stellte im persönlichen Verkehr einen überstarken Ein-
fluss des Kaisers auf die Ministerpräsidenten (und Minister) fest: „es war nicht
die Angst vor einer ungnädigen Reaktion“, wie er meinte, „es war die vor der
unglaublichen Sachkenntnis des Kaisers Franz Joseph“.525
Für sich und sein Haus hatte Franz Joseph freilich anders entschieden. An der
Gestaltung und der Funktion des Hofbeamtentums ist abzulesen, wie sich Kaiser
und Dynastie eine ideale Bürokratie vorgestellt hatten. Das Hofbeamtentum war
geradezu ein Relikt aus dem barocken Absolutismus. Nehmen wir wieder An-
521 Siehe vor allem die Kapitel „Staatsdiener – Staatsbürger“, „Widersprechende Loyalitäten“, „Par-
teipolitische Konflikte“ und „Nationale Illustrationen“.
522 Zit. nach GOLDINGER, Die Wiener Hochbürokratie, S. 313.
523 Siehe Kapitel „Widersprechende Loyalitäten“.
524 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 76.
525 EHRHART, Im Dienste, S. 261.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277