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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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treuen zeitgenössischen Beamten, des Statthalters in Triest und Oberösterreich
Erasmus Freiherr von Handel (1860–1928), urteilt Hussarek längst nachdem die
Monarchie untergegangen und Handel verstorben war, im Jahr 1930, über dessen
Beamtenmoral folgendermaßen: „Handel war ein Mann der Verwaltung allerers-
ten Ranges“, der „mit scharf durchdringendem Blick“ die Aufgaben erfasst und
der seine „volle Tatkraft“ in den Dienst der Sache stellte. Unter ihm hätte auch
die Beamtenschaft des Landes „mit der größten Hingabe an eine peinlich korrekte
und verständnisvolle Amtsführung“ ihre Aufgaben erfüllt. „Jeder einzelne wusste,
dass seinem Landeschef nichts an seiner Amtsführung entgehen werde und dass
seine Bemühungen unter den gegebenen Verhältnissen für das allgemeine Wohl
nachdrücklich zu wirken Anerkennung, jede Saumseligkeit oder Nachlässigkeit
schärfsten Tadel finden würde. Für Handel war Verwaltung eine hohe Kunst, an
die er neben tiefem Wissen, reicher Erfahrung und feinstem Takt auch die ganze
Wärme seines Herzens wendete. Namentlich war er auch ein Meister in der Wür-
digung des Verhältnisses zwischen Staatsganzen und dessen einzelnen Ländern
und ein unermüdlicher Vertreter dessen, was beiden frommt.“536 Hatte Hussarek
den „Hirtenbrief“ Josephs II. vom Jahr 1783 mit dessen Vorstellungen, wie ein
idealer Beamter seinen Dienst zu verrichten habe, vor sich, als er diese Zeilen
schrieb? Wir lesen von klarer Erfassung der Verwaltungsaufgabe, von „voller Tat-
kraft“ für den Dienst der Sache und des Staates, von „peinlich korrekter und [zu-
gleich] verständnisvoller Amtsführung“, von der Vorbildwirkung, die von diesem
Landeschef ausging, von der „hohen Kunst der Verwaltung“, die nicht nur Wissen
und Erfahrung, sondern auch die „Wärme des Herzens“ erforderte. Fast wörtliche
Wiederholungen des Hirtenbriefs!537 Handel und Hussarek-Heinlein standen für
so manche andere bürokratische Eliten. Auch im beginnenden 20. Jahrhundert
war für einen guten Beamten ohne Zweifel das josephinische Beamtenethos nicht
vergessen, er hatte es internalisiert!
Handel beschreibt in seinen „Erinnerungen“538 seine berufliche Karriere, die
zeigt, dass er sich in die Reihe jener Beamten einreihen lässt, deren Leben und
Karriere typisch verlief. Er war Sohn eines Beamten, des k. k. Statthaltereisekretärs
und (deutsch-liberalen) Reichsratsabgeordneen Sigmund Freiherr von Handel,
536 Hussarek gab auszugsweise die Lebenserinnerungen Handels heraus: ERINNERUNGEN DES
ERASMUS FREIHERR von HANDEL, hg. von Univ.-Prof. Dr. Max Freiherr Hussarek von
Heinlein, österreichischer Ministerpräsident a. D. In: Jahrbuch der Österreichischen Leo-Gesell-
schaft (1930), S. 39.
537 Zitate aus dem Hirtenbrief bei HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 26 f.
538 Nachlass Handel, Karton 1. HHSTA.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277