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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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richtsbeamte Adolf Ignaz von Tschabuschnigg (1809–1877), Beamter am Landes-
gericht in Klagenfurt, am Stadt- und Landrecht in Triest, am Oberlandesgericht
in Graz und am Obersten Gerichtshof in Wien, Reichsratsabgeordneter und kurze
Zeit (1870) Justizminister, hinterließ Abhandlungen sowie ein reiches schriftstel-
lerisches Œuvre.555 Wer bringt heute noch den berühmten Dichter, Kulturkritiker
und Freund vieler Künstler, Richard (seit 1918 von, 1874–1942) Schaukal mit Bü-
rokratie in Verbindung, der 20 Jahre lang ein erfolgreicher Beamter, Ministerial-
rat im Ministerratspräsidium, war? Um die Liste der heute noch bekannten oder
längst vergessenen Dichterbeamten kursorisch fortzusetzen, sei der Senatspräsi-
dent Kurt Frieberger ebenso genannt wie der Mittelschullehrer Robert Hamer-
ling, der Sektionschef (im Unterrichtsministerium) Thaddäus Rittner, Hofrat
Otto Stoessl und der Richter Anton Wildgans.556 Der Usus, Künstler zu Beamten
zu ernennen, bildete eine Fortsetzung der josephinischen und vormärzlichen Per-
sonalpolitik, die allerdings damals als eine Art Kunst- und Sozialförderung durch
den Staat gedacht war. Künstlerisch begabte oder wissenschaftlich interessierte
Männer wurden in die Amtsstuben geholt, um einer traurigen brotlosen Existenz
in Armut zu entgehen: Die Dichter Aloys Blumauer, Joseph Franz von Ratschky,
der Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall, Eduard von Bauernfeld, Ignaz
Franz Castelli, Franz Grillparzer und Adalbert Stifter waren Beamte, die – im Un-
terschied zu den dichtenden Beamten der zweiten Jahrhunderthälfte – in erster
Linie Künstler waren und mit ihrem Dienst im Staat nur ihr Brot erwarben.557
Katholische, kaisertreue Patrioten und gut ausgebildete Juristen waren zwar
die Wunschvorstellung für den Staatsdienst. Diese mochten auch die Mehrheit
gebildet haben. Trotzdem waren unter den bürokratischen Eliten ungewöhn liche
Exemplare vertreten, die ungewöhnliche Wege gingen. Je später es im monarchi-
schen Zeitalter wurde, desto differenzierter und disparater gestaltete sich der Be-
amtenapparat. Konservative, kaisertreue Einstellung wurde bekanntlich als hohe
Beamtentugend gepriesen. Gerade deshalb verblüfft, dass immer wieder die Rede
auch HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 220 und 329; über den Text der Thronrede ÉVA SO-
MOG�I, Vom Zentralismus zum Dualismus. Der Weg der deutschösterreichischen Liberalen
zum Ausgleich von 1867 (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz,
Abt. Universalgeschichte, Beiheft 13), S. 19.
555 Siehe ADOLF RITTER von TSCHABUSCHNIGG, zusammengestellt von Primus Heinz
Kucher, S. 335 ff., siehe auch Kapitel „Traditionelle Karrieremuster“.
556 Bei SCHIMETSCHEK, Der österreichische Beamte, S. 194.
557 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 326–331. KARLHEINZ ROSSBACHER, Literatur und Li-
beralismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit (Wien 1992).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277