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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
nicht zu ernsthafte Auslegung von Normen, erwecken den Eindruck von ober-
flächlichen und „schlampigen“ Behandlungen der Beamtenaufgaben.607
Mit der „zielorientierten Rationalität“, die Max Weber als Richtschnur zur Lö-
sung bürokratischer Aufgaben vorgab, waren solche Handlungen der österreichi-
schen Bürokratie kaum in Einklang zu bringen. Nach Webers Kriterien werden
wir so manche Ansätze der österreichischen Beamten zur Problemlösung als im
besten Fall unkonventionell einzustufen haben. Für Weber galt allerdings die Er-
kennung des Ziels als gesicherte Voraussetzung.608 Anders sieht es aus, wenn wir
die Maßstäbe von Niklas Luhmann zur Richtschnur nehmen. Luhmann entwi-
ckelte angesichts der komplexen Probleme im späten 20. Jahrhundert das Kri-
terium der „Systemrationalität“ zur Beurteilung von Organisationen. Luhmann
übt Kritik an Max Webers Bild der mühelos und schematisch funktionierenden
Bürokratie und meint, dass die Erkennung von Problemen, die Weber als natür-
liche Voraussetzung für die Erfüllung bürokratischer Pflichten ansieht, in der mo-
dernen Welt, die durch eine außerordentliche Komplexität gekennzeichnet sei,
nicht mehr angenommen werden könne. Luhmann hält daher die Erhaltung von
Systemen für die wesentlichste Aufgabe der Bürokratie.609 Der Gradmesser der
„Systemrationalität“ scheint besser geeignet, um die Bürokratie in der Spätzeit
der Monarchie beurteilen zu können. Die komplexe moderne Welt des 20. Jahr-
hunderts, von der Luhmann spricht, war in der österreichischen Monarchie ab
dem späten 19. Jahrhundert (wenn nicht schon vorher) vorweggenommen. Sie
wurde von den Beamten dieser Zeit intensiv erlebt, die zunehmend mit immer
dynamischer werdenden politischen, nationalen, sozialen und kulturellen Prozes-
sen konfrontiert waren sowie mit der wachsenden undurchschaubaren Mannig-
faltigkeit von Konflikten. Wie bereits in einem anderen Zusammenhang gesagt,610
hatten die Bürokraten, und vor allem ihre Eliten, den Staat gegen die Ansprüche
der Nationalitäten – oder (manchmal) umgekehrt – die (eigene) Nation gegen
den Staat zu verteidigen, gegen unvernünftige Anmaßungen von Politikern je-
607 Siehe auch Kapitel „Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten“; FRIEDLÄNDER,
Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 72.
608 Siehe HEINDL, Gehorsame Rebellen, Kapitel „Max Weber und die rationale Bürokratie“,
S.
348–356.
609 NIKLKAS LUHMANN, Zweck – Herrschaft – System. Grundbegriffe und Prämissen Max
Webers. In: Bürokratische Organisation, hg. von Renate Mayntz (Köln 1968), S. 36–56,
NIKLAS LUHMANN, Soziologische Aufklärung, Bd. 3: Soziales System, Gesellschaft, Organi-
sation (Opladen 1981); siehe auch HEINDL, Bureaucracy, Officials, S. 56 f.
610 Siehe Kapitel „Selbstinszenierungen“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277