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1. Theoretische Überlegungen
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bald heraus, dass sich in aller Stille bedeutende Wandlungen vollzogen, dass die
Bürokratie im Geheimen Möglichkeiten entwickelte, Einfluss zu nehmen und die
Bahnen des Staates zu gestalten, sodass sich die Frage erhob: Sind die bürokrati-
schen Eliten, die um 1848 noch „Gehorsame Rebellen“ waren, solche geblieben
oder nahmen sie im Rahmen von Politik und Gesellschaft einen anderen Platz
ein? Müssen wir daher einen anderen Namen für sie finden?
Diese Spurensuche gestaltete sich unerwartet bunt, reizvoll, aber nicht einfach,
da sich eben vieles hinter den Kulissen vollzog. So bleibt auch diese vorliegende
Studie ein Fragment. Es bleiben Lücken, unbeantwortete Fragen, die nicht weni-
ger, sondern mehr wurden, je intensiver ich mich mit dem Thema beschäftigte.
Aufgrund des Facettenreichtums des Themas Beamte und Bürokratie stellt es ge-
wissermaßen eine Schwierigkeit dar, die Geschichte der Bürokratie in eine der
üblichen Schubladen der historischen Wissenschaft einzuordnen, wie es der wis-
senschaftliche Kanon angeblich erfordert. Als Phänomen der Geschichte steht
die Historie der Bürokratie an der Schnittstelle von politischer Geschichte und
Gesellschaftsgeschichte. Als Gruppe und als Individuen können die Beamten mit
ihren sehr speziellen Lebenswelten und den differenzierten Praktiken hinsicht-
lich ihrer persönlichen Lebensvollzüge (nach dem Kulturtheoretiker Raymond
Williams4) Objekt der Kulturwissenschaften sein. Zumindest können/sollen Be-
amte und Bürokratie als Teil der Kultur von Staat und Gesellschaft begriffen und
dementsprechend untersucht werden. Darum wird die vorliegende Studie zur Ge-
schichte der hohen Beamten ein Gemenge dieser Kategorien darstellen.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war von gewaltigen Umbrüchen ge-
kennzeichnet. Die Bewältigung des kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Wandels erforderte von den Menschen dieser Periode ein hohes Maß an
Anpassungsfähigkeit. In diesem komplexen Rahmen war es die vordringlichste
Aufgabe der bürokratischen Eliten, Ordnung in Gesellschaft und Staat herzu-
stellen, auf ein geregeltes Verhalten von Individuen zu achten, auf den Umgang
der Menschen mit Nachbarn, Umwelt und Gesellschaft, damit ein halbwegs so-
ziales Gleichgewicht herrschte. Als wesentlicher Teil staatlicher Kultur, sogar als
(manchmal insgeheim) dirigierender Teil des Beziehungsgeflechtes von Men-
schen, sind sie daher als ein kulturwissenschaftliches Phänomen zu begreifen.
4 Vgl. die verschiedenen Werke von Raymond Williams, z. B. RA�MOND WILLIAMS, Gesell-
schaftstheorie als Begriffsgeschichte. Studien zur historischen Semantik von „Kultur“. Deutsch
v. Heinz Blumensath (München 1972).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277