Seite - 28 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
überall als aufgebläht gezeichnet. Und die häufigen Klagen über die Bürokratie
der Europäischen Union in Brüssel,16 deren Entscheidungen für die Bürgerinnen
und Bürger weit entfernt und meistens nicht durchschaubar sind – vergleichbar
etwa mit den bürokratischen Verhältnissen zu Zeiten Kaiser Josephs II. – tun ein
Übriges. Es gibt zwar Gegenstimmen von kritischen Publizisten zu diesem allge-
mein gängigen Bild der „EU-Beamten“,17 doch die Politiker verhalten sich nicht
anders als die Fürsten früherer Zeiten: Sie benützen – um den „Volkszorn“ von
sich abzuwenden – die „Brüsseler Bürokratie“ als Deckmantel für Entscheidun-
gen, die in Wahrheit sie getroffen hatten. Bei diesen Darstellungen der Beamten
wird oft vergessen, dass der oberste Zweck des Beamtentums in der Unterstüt-
zung des Staates und in Serviceleistungen für Bürgerinnen und Bürger besteht.
Die Bürokratie steht in der undankbaren Position zwischen Staat, staatlicher Po-
litik – die in zivilisierten Staaten nicht mit Parteipolitik zu verwechseln ist – und
Staatsbürgern.
Sozial gesehen war (und ist) die Beamtenschaft ein eigener Mikrokosmos, der
weit gespannt fast alle Schichten der Bevölkerung und dementsprechend viele
Berufe umfasst: Sektionschefs, Ministerialräte, Hofräte, Richter, Lehrer von der
Volksschule bis zu den Universitäten, Schreiber sowie Handwerker, Aktenträger,
Portiere etc. Somit stellte (und stellt) sie selbst ein getreues Spiegelbild der Ge-
sellschaft dar. Verbunden wurden diese Gruppen durch den Treueid, den sie dem
Staat leisteten, durch allgemeine Normen, durch die strenge Hierarchie, durch
das Weisungsrecht der Vorgesetzten und die Gehorsamspflicht der „Untergebe-
nen“, durch ihre allgemeinen Pflichten und Rechte.18 Von einer sozialen Lage der
Bürokratie kann nicht gesprochen werden, viele soziale „Lagen“ stünden zur Be-
sprechung an. Es gab aber im Staatsdienst zusätzlich noch Diener und Diurnisten
(„Taglöhner“), die lange nicht (dann sehr spät, 1914) in den Beamtenstand einge-
reiht wurden, genauso wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die „Neuen“
im Staatsdienst, die Frauen, die – vorderhand – nur in den niederen Sphären des
16 Über die Notwendigkeit des Wandels des öffentlichen Dienstes im europäischen Integrations-
prozess WOLFGANG MANTL, Europäische Integration und öffentlicher Dienst. In: Staats-
recht und Staatswissenschaften in Zeiten des Wandels. Festschrift für Ludwig Adamovich zum
60. Geburtstag, hg. von Bern-Christian Funk (Wien 1992), S. 372–387.
17 ROBERT MENASSE, „Das Loblied auf Brüssels Bürokraten“: In: Falter 20/12, 16. Mai 2012,
S.
10–12; vor Kurzem erschien sein Essay: Der europäische Landbote. Die Wut der Bürger und
der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss
(Wien 2012).
18 Dazu HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 44–52; zum Beamtenrecht auch Kapitel „Soziale Privi-
legierung und dienstliche Disziplinierung“.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277