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I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche
Alle diese Zahlen müssen, wie gesagt, mit größter Vorsicht aufgenommen wer-
den: Im Jahr des von Olszewski publizierten Buches, 1904, wurde von staatlicher
Seite ebenfalls eine interessante Studie für das Jahr 1901 erstellt,28 in der für dieses
Jahr die weitaus kleinere Zahl von 41.790 Staatsbeamten (im Gegensatz zu der
ebenso amtlichen Zahl von 65.415 des Jahres 1900) die Rede ist. Die Beispiele
weisen jedenfalls auf die gravierenden Unterschiede des Zahlenmaterials hin und
demonstrieren, wie schwierig es ist, verlässliche Größen des Beamtenstandes zu
eruieren. Laut der Studie des Jahres 1904 verteilten sich die (angeblich) 41.790
Beamten im Jahr 1901 in folgende Dienste: 30,4 % dienten im Konzeptsdienst,
69,6 % im Kanzlei- und Rechnungsdienst; was die Rangklassen betraf, so finden
wir 79 % in den drei untersten Rangklassen, die am wenigsten Lohn bekamen.29
Etwas besser steht es mit den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Peter Ur-
banitsch fand eine wertvolle Untersuchung der „Statistischen Zentralkommis-
sion“ des Ministeriums für Finanzen, die die Höhe des Beamtenstandes in Cis-
leithanien am 1. September 1910 mit 55.367 bezifferte30 – ungeachtet allerdings
der sonstigen nicht beamteten Kräfte, die für den Staat arbeiteten. Für das Jahr
1912 allerdings werden ganz andere Zahlen von einer nicht staatlichen Stelle ge-
nannt, nämlich von der Zentralstelle des Katholischen Volksbundes, die auch
die Vertragsbediensteten, die ständigen Arbeiter, die Eisenbahnangestellten, die
Unterbeamten und Diener sowie das Wachkorps einbezog. Sie kommt auf die
Zahl von 427.564 Staatsangestellten insgesamt, davon waren 66.700 Staatsbe-
amte, Staatslehrpersonen und Richter, die Eisenbahnbediensteten wiesen damals
schon die höchste Zahl von 175.591 auf, dann folgten die ständigen Arbeiter mit
OLSZEWSKI, Bureaukratie (Würzburg 1904), S. 264 f.; auch KARL BROCKHAUSEN, Be-
amtentum und Protektion. In: Österreichische Rundschau 28 (1911), S. 261–268; dazu auch
WALTRAUD HEINDL, Was ist Reform? Überlegungen zum Verhältnis von Bürokratie, Staat
und Gesellschaft in Österreich. In: Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung
in Österreich und Deutschland 1867/71–1914. Historikergespräch Österreich – Bundesrepub-
lik Deutschland 1989, hg. von Helmut Rumpler (= Veröffentlichung der Österreichischen For-
schungsgemeinschaft, Wien/München 1991), S. 170.
28 MEGNER, Beamte, S. 345, bezeichnet sie als „aufschlussreichste Arbeit“ in statistischer Hin-
sicht: STATISTISCHE STUDIE ÜBER DIE ZIVILSTAATSBEDIENSTETEN NACH DEM
STAND VOM 30. Juni 1901 (Wien 21904).
29 MEGNER, Beamte, S. 345.
30 PETER URBANITSCH, The High Civil Service Corps in the Last Period of the Multi-Ethnic
Empire between National and Imperial Loyalities. In: Historical Social Research. Historische
Sozialforschung. Elite Formation in the Other Europe (19th–20th Century). Eliteformationen
im „anderen“ Europa, ed. Victor Karady 124/33 (2008) 2, S. 196.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277