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5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867
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Es gähnte demnach offenbar eine Kluft zwischen diesen rational aufgeklär-
ten Beamten und den (meisten) Repräsentanten der neoabsolutistischen Regie-
rungsspitze. Wahrscheinlich konnte das System nur deshalb funktionieren und
eine Verwaltungsorganisation von dauerhaftem Bestand schaffen, weil die mit der
Ausarbeitung der Gesetze betrauten Beamten den realen Verhältnissen der neuen
Staats- und Wirtschaftsgesellschaft Rechnung trugen. Bürokratie und Beamte ver-
körperten in dieser neuerlichen Phase des Absolutismus zwischen 1848 und 1859
(abgeschwächt in der Phase des Übergangs zum Konstitutionalismus bis 1867)
das moderne staatliche Element. Sie verhalfen – das sei nicht vergessen – dem
Liberalismus letztendlich zum Siegeszug, indem sie die Lichtseite des neoabsolu-
tistischen Staates, die erwähnten Wirtschaftsreformen, unterstützten, damit aber
die Schattenseite, das absolutistische System selbst, untergruben. Denn die Dis-
krepanz zwischen den aufgeklärten Beamten sowie der in beträchtlichem Maße
liberalisierten „Staats- und Wirtschaftsgesellschaft“ einerseits und der absolutis-
tisch agierenden Regierungsspitze mit ihrem altertümlichen vormärzlich-absolu-
tistischen Regierungsstil andererseits war auf die Dauer zu groß und erzeugte eine
Schwächung des Staatsgefüges, die das Scheitern des Absolutismus entscheidend
vorbereitete.
Nehmen wir die Kriterien Max Webers zur Richtschnur. Diese sind: ein kon-
tinuierlicher, regelgebundener Amtsbetrieb, eine klare Kompetenzabgrenzung,
eine fest gefügte Amtshierarchie, deren Organisationsprinzip das Verhältnis von
Befehl und Gehorsam ist, eine spezielle fachliche Ausbildung, Hauptberuflichkeit
und strikt vorgezeichnete Laufbahn, ein Besoldungsschema, Aktenmäßigkeit der
Verwaltung, Amtsverschwiegenheit, eine monokratische Struktur statt kollegialer
Führung, der Vorrang der Autorität des Amtes vor der Person, Unterordnung des
Beamten unter einen Kontroll- und Disziplinierungsmechanismus, Ernennung
von oben (keine Wahl).152 Diesen Kriterien entsprach das gut ausgebildete ös-
terreichische Berufsbeamtentum nach 1848, das heißt, dass es trotz aller Mängel
und aller äußerlichen Angepasstheit an das System fähig war, das Reformwerk des
Neoabsolutismus, die staats- und gesellschaftspolitische Modernisierung, durch-
zuführen. Es erschien zunächst als Garant des Systems, die Rolle, die ihm das
neoabsolutistische Regime zugedacht hatte – doch in der Realität erwiesen sich
die Beamten letztendlich als dessen Totengräber.
152 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 126–128.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277