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3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en
Souverän als Selbstverständlichkeit erwartet, beim Staatsdiener trat an die Stelle
des Souveräns der Staat, dem der Beamte Gefolgschaft zu leisten hatte und (heute
noch) hat. Auch die demokratischen Staaten verzichten nicht gerne auf die Treue
und Verlässlichkeit ihrer Beamten. Sollte der Staat an Wertigkeit verlieren, greift
man gerne auf persönliche Berater außerhalb der Beamtenkreise zurück.
Das Thema Loyalität stellte sich im Fall Cisleithaniens für die Beamtenschaft
in einem besonders komplexen Verhältnis. Zu der (bereits besprochenen) nicht
unproblematischen Beziehung zwischen Kaiser und Beamten im neuen Staat, die
durch die Verfassung von 1867 weiter zementiert wurde, trat in diesem von nun
an unweigerlich die Zugehörigkeit der Beamten zur Nation und das Interesse für
die aufkommenden (nationalen) Parteien, und damit zur Politik. Die rasanten
national- und parteipolitischen Entwicklungen im Verfassungsstaat gestalteten die
Verhältnisse zwischen 1867 und 1918 immer disparater.
Um es vorwegzunehmen: Die Frage, ob die Beamten die oft behauptete Treue
zu Kaiser und/oder Staat oder doch eher zu Nation/en und Partei/en zeigten,
kann nur an Einzelfällen schlüssig behandelt werden – und nicht einmal hier ein-
deutig. Die Haltung von einzelnen Beamten sowie die allgemeinen Denkstruktu-
ren wandelten sich in diesem langen Zeitraum. Jedenfalls befindet sich das Thema
Loyalität im Schnittpunkt zwischen Politik und Identität.
Die einschneidenden Änderungen der staatsrechtlichen Gesetze von 1867 be-
deuteten für die Beamten hinsichtlich ihrer Abhängigkeit vom Kaiser, der an sei-
ner Oberhoheit über die Beamten – wie oben bereits dargelegt – unverbrüchlich
festhielt, keineswegs jene scharfe Zäsur, die sie für den Staatsorganismus hatten.
So wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die k. (u. k.) Beamten auch
abgesehen von der gesetzlichen Lage, die die Staatsdiener fest an den Kaiser band,
persönliche Loyalität gegenüber dem Kaiser empfunden hätten. Die Memoiren-
literatur, die wir von Beamten besitzen, erweckt des Öfteren den Eindruck, sie
wären mehr Fürstendiener als Staatsdiener gewesen, hätten somit den älteren Typ
des Beamten verkörpert. Der bereits erwähnte Otto Friedländer beispielsweise,
der das Beamtentum sowie den Kaiser – posthum in der Ersten Republik – in
einem verklärten Licht sah und beiden Faktoren die konstruktivste Rolle, die es
im Staatsgetriebe überhaupt gab, zuschreibt (daneben aber doch auch kritische
Analysen lieferte) meint: „Die Beamten sind Kopf und Rückgrat des Staates. Der
Kaiser selber ist ein Beamter: von fünf Uhr früh bis acht Uhr Abend sitzt er am
Schreibtische – […] Die Beamten nimmt der Kaiser ernst. […] Die Beamten sind
die Kerntruppe des Kaisers. Sie sind seine Hände, seine Augen, seine Ohren. Je-
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277