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7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung
Der Verfassungsstaat brachte noch weitere, bis jetzt völlig unbekannte Rechte:
Die Beamten konnten den Staat – bis jetzt sakrosankter oberster Dienstherr –
klagen, wenn er sich nicht an die Gesetze hielt, ein Recht, das die hohen Ränge
– im Gegensatz zu den Subalternbeamten – nicht in Anspruch nahmen. Die Ge-
währung des Streikrechts wurde allerdings aus Gründen des Disziplinarrechts den
Beamten nicht zugesagt. Von der höheren Beamtenschaft aus Respekt vor dem
Staat als unwürdig abgelehnt, wurde es von den Subalternen immer wieder ein-
gefordert.
Das Gehaltsgesetz vom 15. April 1873 wurde als „Magna Charta“ der Beamten
bezeichnet.163 Ob diese Bezeichnung zu Recht gegeben wurde, sei dahingestellt.
Die „Magna Charta“ war ein Gehaltsgesetz mit einem gerüttelt Maß an Vorteilen
für die Beamten. Die Vorteile bedeuteten allerdings für die Zukunft einen ent-
scheidenden Schritt: Beschneidungen gewährter Rechte sollten sich in Zukunft
nahezu als unmöglich erweisen. Alle Versuche, die im Gefolge der Wirtschafts-
krise nach 1873 von Regierung und Parlament unternommen wurden, durch
Änderungen der Verwaltungsorganisation, etwa den Abbau von Planstellen der
höheren Beamtenschaft und durch Pensionierungen von mittleren und niederen
Beamten Einsparungen zu erzielen (Strategien, die auch im 21. Jahrhundert nicht
unbekannt sind) verliefen im Sand. Die gut organisierten Interessenvertretungen
sorgten für Schutz.
So wurde es den Staatsdienern in den höheren Rängen in den folgenden Jahren
ermöglicht, am bürgerlichen Aufschwung und Wohlstand, wenn auch in beschei-
denem Ausmaß, teilzunehmen. Es war im Übrigen hoch an der Zeit, das Los
der Beamten zu verbessern. Seit den verheerenden finanziellen Verhältnissen der
Bürokratie im Neoabsolutismus hatte nicht nur der reale Lebensstandard gelitten,
auch das soziale Prestige, die wichtigste Gruppe eines wenn auch nicht wohlha-
benden, aber doch kultivierten Bildungsbürgertums darzustellen, war ins Wan-
ken gekommen.164 Nach dem Gehaltsgesetz von 1873 besserte sich die Lage der
höheren bürokratischen Ränge dem Schema entsprechend mit fortschreitendem
Dienstalter und höherem Rang. Erst in dieser Zeit gehörte man, wenn überhaupt,
zu den Eliten der Gesellschaft.
Trotzdem gerieten Beamte auch der oberen Rangklassen immer wieder in fi-
nanzielle Schwierigkeiten. Die Geschichte der Brüder Beck, aus der Vorgänger-
163 MEGNER, Beamte, S. 108.
164 Siehe auch Kapitel „Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867“ und „Die ,gut-
bürgerliche‘ Gesellschaft“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277