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8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst
wurden prinzipiell nicht im Staatsdienst verwendet, da es nach landläufiger Auf-
fassung des Arbeitgebers Staat ihre Aufgabe war, Ehefrau und Mutter zu sein, das
Hauswesen zu führen und die Erziehung der Kinder zu übernehmen.206
Die Arbeit der Frauen bestand mehr oder minder aus mechanischen Tätigkei-
ten: Schalter- und Apparatdienst, Kopier- und Schreibdienst, Rechnen, Ordnen
von Meldezetteln und Postsendungen, Kontoführung im Postsparkassenamt.207
Die Arbeitszeit betrug in den meisten Ämtern sechs Stunden, im Post- und Te-
legrafendienst „theoretisch“ acht, in der Praxis allerdings nur zwischen fünf und
siebeneinhalb Stunden, bei den Staatsbahnen sieben und bei der Postsparkasse
sechseinhalb Stunden. Einige dieser Berufsgruppen, wie die Lehrerinnen und
Postbeamtinnen, wussten sich freilich zur Wehr zu setzen und organisierten sich
schnell. Die ersten waren die Lehrerinnen, die ab dem Beginn der 1870er-Jahre
Vereine gründeten, die die Interessen der Lehrerinnen vertraten,208 wie „Monika
– Organ des katholischen Vereins der Lehrerinnen und Erzieherinnen“. Es gab
verschiedene Zeitschriften: „Monatsblatt für die Interessen des Lehrerinnenthu-
mes – Der Lehrerinnen-Wart“ (ab 1889), das sich 1891 in „Neuzeit – Blätter für
weibliche Bildung in Schule und Haus“ und 1894 in „Frauenleben“ umbenannte.
Ab 1893 erschien die „Österreichische Lehrerinnen-Zeitung“, die in sanfter Manier
die Anliegen der Mädchenbildung und der Lehrerinnen vertrat. Pointierter für die
Interessen der Lehrer und auch der Lehrerinnen setzte sich das „Organ der jünge-
ren Lehrerschaft – Freie Lehrerstimme“ ein, das ebenfalls 1893 gegründet wurde
und das Publikationsorgan der Wiener Lehrerschaft darstellte. Es waren vor allem
die ungleiche Bezahlung – mit Ausnahme in den Kronländern Böhmen, Mäh-
ren, Schlesien, Galizien, Bukowina und Krain209 –, die ungleichen Pensionen, die
zahlreichen Hindernisse im Aufstieg in höhere Positionen (nur 0,7 % aller Schul-
leiter waren im Jahr 1903 Frauen)210 sowie der in den verschiedenen Kronländern
sehr different gehandhabte Zölibat der Lehrerinnen,211 gegen den sich vor allem die
206 HEINDL, Geschlechterbilder, S. 710–723.
207 Zum Folgenden NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 220.
208 Zum Folgenden INGRID PASTNER, Vom Fräulein zur Präsidentin. Die geschichtliche Entwick-
lung zum Beruf der Pflichtschullehrerin (phil. Diplomarbeit, Universität Wien 2005), S. 39–47.
209 STATISTISCHES JAHRBUCH DER AUTONOMEN LANDESVERWALTUNG IN DEN
IM REICHSRATHE VERTRETENEN KÖNIGREICHEN UND LÄNDERN, hg. von der
k. k. Statistischen Central-Commission auf Grund der von den Ländern gelieferten statistischen
Tabellen und Materialien, III. Jg. (1903), S. XII ff.; vgl. PASTNER, Vom Fräulein zur Präsiden-
tin, S. 50.
210 STATISTISCHES JAHRBUCH DER AUTONOMEN LANDESVERWALTUNG, S. 52.
211 STATISTISCHES JAHRBUCH DER AUTONOMEN LANDESVERWALTUNG, S. 63–72.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277