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8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst
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Ausbildung zurückführt. Was unseren Autor besorgt machte, ist die mangelnde
„höhere Auffassung“ von dem Beamtenberuf, das „innige Verwachsen mit dem
Staatsdienst“, einfach das Fehlen von „Standesbewusstsein“.216 Offenbar übersah
Nawiasky, dass die untergeordnete Stellung und diskriminierende Behandlung
den Frauen eine Identifizierung mit der Arbeit nicht erleichterte. Aus moralischen
Gründen empfahl er jedenfalls eine räumliche Trennung von den Männern sowie
eine Einschränkung des Nachtdienstes. Es sah allerdings wenig sexuelle Gefahren
in ihnen, da diese Frauen der Ehe absolut abgeneigt wären (er beschreibt aller-
dings nicht die Quelle, woher dieses Urteil gespeist wurde). In Widerspruch dazu,
glaubte er bemerkt zu haben, hofften die Neueintretenden, bald zu heiraten und
durch die Eheschließung dem Dienst wieder „entrückt“ zu werden, was der Bezie-
hung zu ihrer Arbeit und ihrer Dienststelle nicht förderlich sei.217 Der Staatsdienst
böte diesen „unbeschäftigten“ (heute würden wir sagen frustrierten) Frauen Aus-
gleich, „Anregungen“ und zerstöre die Langeweile, obwohl der Dienst „anstren-
gend und nervenaufreibend“ wäre und daher mit sechs Stunden zu begrenzen sei
– selbstverständlich nur für ledige Frauen, da der natürliche Platz der Ehefrau im
Haus sei.218 Als Fazit konstatiert Nawiasky, dass Frauen im Staatsdienst ein Pro-
blem darstellten und dass Berufsarbeit für Frauen im Allgemeinen und schon gar
nicht der Staatsdienst im Besonderen für sie geeignet sei.
Hans Nawiasky (1880–1961), Staats- und Verwaltungsrechtler, später Professor
an den Universitäten Wien und München, legte diese Studie der juridischen Fa-
kultät der Universität Wien als Habilitation vor,219 deren Mitglieder – bis auf ei-
nige wenige Ausnahmen wie der Verfassungsrechtler Edmund Bernatzik – weder
Freunde des Frauenstudiums noch von juristischen Frauenberufen waren.220 Sollte
sich Nawiasky als (allzu) gefälliger Student seiner Fakultät erwiesen haben?
Die negative Sicht auf Frauen im Staatsdienst blieb mehr oder weniger für
Jahrzehnte unverändert. Selbst im Ersten Weltkrieg, als aus Mangel an männ-
lichen Beamten vermehrt Frauen aufgenommen wurden, sowie in der Ersten Re-
publik gab es kaum Frauen in mittleren und höheren Rängen,221 und das Berufs-
verbot, das in der Ersten Republik noch für verheiratete Frauen im Bundesdienst
ausgesprochen wurde, zeigt, wie lange der Staatsdienst für Frauen als Notlösung,
216 NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 227.
217 NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 228, zum Folgenden S. 237–244.
218 NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 6 und 228.
219 HANS. F. ZACHER in NEUE DEUTSCHE BIOGRAPHIE 19 (München 1999) , S. 4–6.
220 HEINDL, Zur Entwicklung des Frauenstudiums, S. 20.
221 HEINDL, Bürokratie und Beamte: In: Handbuch Erste Republik, S. 92.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277