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V. Das soziale Umfeld
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das direkte „Sie“ verwendeten, sondern die damals bereits altertümlich anmutende
Vermeidung der direkten Anrede wählten, etwa: „Haben Herr Sektionschef schon
gewählt?“, „Sind Herr Ministerialrat gut gereist?“ etc.301 Das heißt, der im Dienst –
nicht im Alter – Höhergestellte wurde selbstverständlich nicht mit dem freundlich
jovialen „Kollege“ tituliert, sondern er wurde in der Regel mit seinem Amtstitel
angesprochen, gerne wurden auch Höhergestellte mit „Euer Hochwürden“ oder
„Euer Exzellenz“ angeredet.302 Selbst wenn die Herren befreundet waren und per
„Du“ verkehrten, so wurde im Dienst der Titel und nicht der Vorname verwendet,
das „Du“ wurde oftmals vermieden, durfte aber unter Umständen gebraucht wer-
den. Es kam (und kommt wohl auch noch heute) auf die Distanz der Ränge an.
Das „Du, Herr Sektionschef“, das noch heute manchmal zu hören ist, und Perso-
nen, die mit dem österreichischen Amtsleben unvertraut sind, höchst seltsam an-
mutet, durfte nur von manchen dem Sektionschef nahe-, aber „unter“ ihm stehen-
den Ministerialräten angewendet werden, etwas weiter darunter stehenden Rängen
war sie versagt. Die wenigen Frauen im Amt, auch die höheren Alters, wurden mit
„Fräulein“ tituliert, sie hatten unverheiratet zu sein. Es gab keine festgeschriebenen
Regeln, es kam auf das Taktgefühl und den Instinkt an, wie angesprochen und
gegrüßt wurde und was sich der jeweilige Vorgesetzte an Grußformel erwartete.
Uns wurden leider keine Formen des Grüßens und der Grußbeantwortung aus
der Zeit der Monarchie überliefert, außer dass junge Beamte etwa ihre Vorgesetz-
ten mit „Meine Verehrung, Herr …“ (es folgte der Titel) bedachten, und dem
bereits angesprochenen militärischen Gruß dem Kaiser und der Kaiserin gegen-
über.303 Wir besitzen jedoch ein eindrucksvolles Romandokument, geschrieben
ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Monarchie (1974), das überkommene
Formen des Grüßens in den Ministerien überliefert. Dass diese erst in der Re-
publik entwickelt wurden, ist wohl kaum anzunehmen. Jörg Mauthe, ein feiner
Beobachter der österreichischen Gesellschaft im Allgemeinen und der beamteten
im Besonderen, beschrieb in seinem Roman „Die große Hitze“ die feinen Ab-
stufungen der Grußformeln, aus denen ein gelernter Österreicher noch in den
1970er-Jahren unmittelbar den Rang und die Beziehung der grüßenden Personen
untereinander ableiten konnte. „Legationsrat Dr. Tuzzi“ – die Hauptfigur des Ro-
mans – „wandte sich dem Sektionsrat Tuppy mit einem ,Grüß dich Gott, Herr
301 Es gibt unzählige Beispiele bei KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist; EHRHART, Im
Dienste.
302 EHRHART, Im Dienste, S. 7.
303 KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 68.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277