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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede
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Sektionsrat‘ zu, ehe noch Tuppy sein übliches ,Respekt, Herr Legationsrat, du
schaust ja blendend aus heute!‘ anbringen konnte; diese beiden Anreden hielten
ebenfalls maximale Balance, denn privat waren die beiden Herren ziemlich be-
freundet, dienstlich aber rangierte der Sektionsrat eine Stufe tiefer als der aller-
dings etwas jüngere Legationsrat […]. Dr. Benkös [ein junger, karrieresüchtiger
und daher unbeliebter Ministerialkommissär] übertriebenes ,Meine besondere
Verehrung, Herr Legationsrat, spezielle Hochachtung allerseits!‘ wurde denn auch
von Tuzzi mit einem kühlen ,Guten Morgen, Doktor Benkö‘, von Tuppy mit ei-
nem geradezu beleidigenden ,Morgen!‘, von allen anderen aber mit einem blo-
ßen verächtlichen ,Grüß Sie Gott‘ oder ,Grüß Sie!‘ beantwortet, je nach dem, ob
der Grußerwidernde eher der konservativen oder der sozialistischen Partei nahe
stand.“304 Man möge die Anleihe bei der Literatur des späteren 20. Jahrhunderts
verzeihen, doch eingefahrene Benimmregeln sind, wie wir wissen, von langer
Dauer. Auch Sabine Zelger schildert die für manche Beamte problembehafteten
Formen des Grüßens, die in der Literatur thematisiert werden.
Auch der Umgang der Staatsdiener miteinander war im Allgemeinen streng re-
guliert, den Gesetzen der bürgerlichen Höflichkeit folgend, obwohl „das Amt“ so
wie heute mitunter nicht vor Schlammschlachten in der Öffentlichkeit bewahrte,
wenn es um Kompetenzen und Geld ging.305 Im Allgemeinen verhinderten aber
vermeintliche zukünftige Karrieren von Kollegen massive Feindseligkeiten im
Amt, was scheinheilige Höflichkeit förderte, „weil man“, so die Argumentation
Kleinwaechters, „nicht wissen kann, ob der Mann nicht einmal etwas wird und
man von ihm etwas braucht“.306
Trotz der allgemein strengen Sitten – wir haben allerdings auch Berichte, dass
es unter Umständen bei den Behörden, etwa beim Bezirksgericht Wieden in
Wien, sehr locker, informell und fröhlich zuging.307 Es kam auf den Bürochef an.
Zusammenfassend ist das Fazit zulässig, dass die Rangunterschiede innerhalb
der Bürokratie, die gleichzeitig eine soziale Rangordnung repräsentierten, das we-
sentliche Kriterium der Differenzierung im Amt darstellten. Die nationalen Un-
terschiede, auf die immer wieder Bezug genommen wird (und die auch vorhanden
304 JÖRG MAUTHE, Die große Hitze oder die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr.
Tuzzi (Wien/München 1974), S. 52 f.; ZELGER, Das ist alles viel komplizierter, S. 293.
305 Beispielsweise bei ALLMA�ER-BECK, Vom Gastwirtssohn, S. 126.
306 KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 35.
307 Das berichtet jedenfalls von seiner Praktikantenzeit Max Freiherr von Mayr, MAX FREIHERR
Von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 206–209. PA HENCKEL-DONNERS-
MARCK.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277