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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
Werte nach Außen vertrat und die Einhaltung derselben innerhalb der Familie
kontrollierte. Er hatte die oberste Entscheidungsgewalt in Familienangelegenhei-
ten zu üben, etwa bei Berufs- und Partnerwahl der Kinder, bei Streit mit den
Dienstboten und in allen juridischen und finanziellen Angelegenheiten. In der
Hauptsache aber musste er für öffentliche Angelegenheiten, für Beruf, Politik,
Nation und Vaterland und für die entsprechenden Vereine, Clubs und Gesell-
schaften in vielfältiger Weise zur Verfügung stehen. Wer hatte schon die entspre-
chende Natur, die Kompetenzen – einschließlich der ökonomischen Mittel – und
den Langmut, diese Ziele beharrlich zu verfolgen?
Die Darstellungen in Memoiren, Tagebüchern und Briefen erwecken zumin-
dest den Eindruck, dass Beamte und ihre Frauen dem bürgerlichen Ideal der
Geschlechterrollen eifrig nachzuleben trachteten, wenn es auch nicht immer er-
reichbar war. Der Sektionschef im Finanzministerium in Wien, Gustav Höfken,
respektabler Vertreter des Bildungsbürgertums, beschreibt in seinen unpublizier-
ten Memoiren sein Familienleben der 1850er- bis 1880er-Jahre als die reinste Idylle
biedermeierlichen Zuschnitts. Wie daraus hervorgeht, war seine Existenz streng
geteilt in ein Leben im Amt und in eines im Privatleben, in dem Frau und Kinder
sowie ein unbeschwertes Vereinsleben die Freizeit an den Wochenenden ausfüll-
ten. Auch wenn sich in den Erinnerungen von Höfken Dichtung und Wahrheit
ein wenig vermischten, so beschreibt er doch seinen Kindern, für die er die Me-
moiren verfasste, wie es in einer bürgerlichen Familie zugehen hätte sollen.409 Der
Familie wurde ein fast heiliger Status verliehen. „Wir wollen einen Familientem-
pel bauen“, schrieb Lina Höfken ihrem Verlobten vor ihrer Ehe. In einem Tempel
lässt es sich verehren, aber nicht leben. Indes geht aus den Briefen, die die Ehe-
leute wechselten, hervor, dass das Ehe- und Familienleben des Paares vom Ideal
weit entfernt war, ja, sich so dramatisch gestaltete, dass man sich zu zeitweisen
Trennungen entschloss.
Selbstredend schildern sich die Beamten – wie etwa Höfken – als liebende,
sich für Frau und Kinder aufopfernde Väter. Wie weit die vielbeschäftigten Bü-
rokraten die Vaterrolle tatsächlich erfüllten, können wir nicht weiter verfolgen.
Die Zeichen deuten darauf hin, dass auch in den Beamtenfamilien der Typ des
autoritären Vaters vorherrschte, der den Kindern und der Frau mit distanzierter,
aber angeblich gerechter Strenge gegenüberstand. Er empfand es als sein ange-
stammtes Recht, von der Ehefrau und den Kindern respektiert zu werden, was
409 HEINDL, „Wir wollen einen Familientempel bauen …“, S. 47–56; zum bürgerlichen Lebensstil
Höfkens vgl. auch HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 313–316.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277