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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
zen Rudolf Moritz Szeps, der Industriellengattin Josephine Wertheimstein, in
dem von deren Tochter Fanny Wertheimstein oder jenem der Tochter der Szeps,
Bertha Zuckerkandls, Kunstkritikerin und politisch engagierte Journalistin, Auf-
nahme fand? Der Zugang zu den entsprechenden Salons war ein Zeichen, Mit-
glied der aufgeklärten, liberalen, kultivierten bürgerlichen Gesellschaft zu sein.
Viele höhere Ränge der Bürokratie hatten zu diesen „bürgerlichen“ Salons wohl
kaum engere Beziehungen. Diese bildeten eher das Refugium von Künstlern und
Wissenschaftlern. Der bereits viel besprochene Wilhelm August von Hartel, be-
kanntlich gerühmter Altphilologe, Professor an der Universität Wien und Direk-
tor der Hofbibliothek, später (1900–1905) Minister für Cultus und Unterricht,
dürfte wohl eher als kultivierter Gelehrter und liberaler Minister, der den moder-
nen Künsten gegenüber aufgeschlossen war, und weniger als Beamter im Salon
der Bertha von Zuckerkandl ein gern gesehener Gast gewesen sein.435
Gesellschaften „zu geben“, Salons zu halten oder wenigstens zu Tee oder Kaf-
fee zu laden, Bälle oder Tanzkränzchen zu inszenieren, stellte den einen Teil des
gesellschaftlichen Lebens dar, bei dem „man“ sich traf. Genauso gehörte es zum
guten Ton, bei den kulturellen Veranstaltungen in „Burg und Oper“, bei den phil-
harmonischen und anderen prominenten Konzerten gesehen zu werden und hier
mit klugen Urteilen „Kultur“ zu beweisen sowie in Wohltätigkeitsvereinen und
bei Wohltätigkeitsveranstaltungen präsent zu sein. Die Wohltätigkeit war das un-
bestrittene Feld der Frauen gemäß dem fürsorglichen, mütterlichen Geschlechts-
charakter, den ihr die bürgerliche Gesellschaft zuschrieb. Hier konnten die Frauen
ihre entsprechenden Erfahrungen einbringen, neue sammeln, ihr Organisations-
talent, das in der Familienarbeit geschult war, für öffentliche Arbeit entfalten. Die
Wohltätigkeits- und kulturellen Vereine boten den Frauen die Möglichkeit, die
Grenzen „ihres“ Bereichs des Privaten zu überschreiten und in der Öffentlichkeit
aufzutreten.436 Von den politischen Vereinen waren sie ausgeschlossen.
435 Ein Überblick über die Salonkultur der späten Jahre der Monarchie bei ERNST CASTEL-
LITZ, Formen der Geselligkeit in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Salon und Salonière –
Kaffeehaus und Kaffeehausgänger (phil. Diplomarbeit, Universität Wien 1998), im Besonderen
S.
55–99.
436 MARGRET FRIEDRICH, „Vereinigung der Kräfte, Sammlung des kleinen Guten zu einem
gemeinschaftlichen Vermögen, kurz die Assoziation ist hier die einzige Rettung“. Zur Tätigkeit
und Bedeutung der Frauenvereine im 19. Jahrhundert in Metropole und Provinz. In: Bürgerliche
Frauenkultur im 19. Jahrhundert, hg. von Brigitte Wallnig-Mazohl (= L’Homme Schriften 2,
Wien /Köln/Weimar 1995), S. 125–173; PIETER M. JUDSON, Die unpolitische Bürgerin im
politisierenden Verein. Zu einigen Paradoxa des bürgerlichen Weltbildes im 19. Jahrhundert.
In: „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit“, hg. von Hannes Stekl, Peter Urbanitsch,
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277