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1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder
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seiner Frau verlieh sogar diesem den Stempel eines Amtes.487 Das Amt als letzter
Verwalter der Universalität, wie Schmidt-Dengler meint?488 Der bürgerliche Sek-
tionschef Tuzzi dagegen leitete zwar in seinem Ministerium „die einflußreichste
Sektion, galt als die rechte Hand, gerüchteweise sogar als Kopf seiner Minister,
und gehörte zu den wenigen Männern, die auf die Geschicke Europas Einfluß
hatten“. Aber dieser einflussreiche Sektionschef, der „Nützlichkeits- und Verstan-
desmensch“, „den sein Gleichgewicht niemals verließ“, wusste sich von all diesen
Aktivitäten fernzuhalten. Er teilte seinen Tag pedantisch mit „unerschütterlichen
Gewohnheiten“ ein, dazu gehörte einerseits das dem Adel abgeschaute entspan-
nungsvolle Reiten, andererseits die unermüdliche (bürgerliche) Weiterbildung,
um „sein großes sachliches Wissen auf der Höhe zu halten, in der seine Überle-
genheit über die adeligen Kollegen und Vorgesetzten bestand“.489 Er beobachtete,
dirigierte jedoch im Hintergrund die Vorgänge der staatspolitischen „Parallelak-
tion“ (und den Salon seiner Frau), einem bedeutenden Mandarin gleich, der als
letzte Instanz über die Geschicke des Staates (der Welt, des Universums) wacht.490
Nicht nur die Umkehrung der angeblichen adeligen und bürgerlichen Beam-
ten-Charaktere, sondern auch die Zeichnung der so verschiedenen Beamtenqua-
litäten – rastlose, nicht unbedingt sinnvolle Arbeit gegen geheimnisvolles Dirigie-
ren – ist im „Mann ohne Eigenschaften“ aufschlussreich. Beide Typen allerdings
sind, jeder in seiner Art, beseelte Beamte. Der Freund des Protagonisten Ulrich,
Walter, „der Sohn aus gutem Haus“, repräsentiert dagegen einen gegensätzlichen
Beamtentyp. Walter ist „Kunst und Kulturmensch“, Maler und Kunsthistoriker
von Beruf, dem sein Vater mit 34 Jahren eine „bequeme Beamtenstellung“ in „ir-
gendeinem Kunstamt“ verschafft hatte „und die Drohung damit verknüpfte, dass
er ihm seine Geldunterstützung entziehen werde, wenn er sie nicht annehme“.491
Der Beamtenberuf als Brotberuf, der von Walter realistisch betrachtet und lustlos,
aber offenbar prosaisch-korrekt ausgeführt wird. Ganz anders wiederum der hohe
Hofbeamte Graf Stallburg, der 70 Jahre in der nächsten Umgebung des Kaisers
verbracht hatte, dessen Äußeres allein den Prototyp eines hohen Hofbeamten ent-
hüllt. Die Exzellenz empfing „in einem großen hohlen Prisma, in dessen Mitte
487 MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 89.
488 SCHMIDT-DENGLER, Der Herr im Homespun, S. 112, auch 110.
489 Alle Zitate MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 104 f.
490 Siehe beispielsweise im Besonderen die Kapitel „Beginnende Gegensätze zwischen alter und neuer
Diplomatie“, MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 194–198, sowie „Weitere Entwicklung.
Sektionschef Tuzzi beschließt, sich über die Person Arnheims Klarheit zu verschaffen“, S. 198–202.
491 MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 50.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277