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1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten?
der erst von deutschen Landen (Frankfurt und Mainz) nach Österreich übersie-
delt und in den Staatsdienst eingetreten war. Sohn Erasmus wurde an der Wiener
Universität zum Juristen ausgebildet und trat seinen Dienst für den Staat 1882
als Konzeptspraktikant bei der Statthalterei Triest an, wechselte dann in die Be-
zirkshauptmannschaft Pola (Pula) und Mitterburg-Bisino (Pazin), wurde fünf
Jahre später, 1887, in das Ministerium des Inneren berufen, wo er im Landes-
departement für Dalmatien, Krain, Küstenland und Tirol und anschließend im
Präsidialbüro verwendet wurde. Nachdem er 1896 Sektionsrat geworden war und
die Leitung des Departements für legislative Angelegenheiten der Landtage der
Reichsrats- und Landtagswahlen übernommen hatte, besaß er offenbar genügend
Einkommen, um 1897 mit 37 Jahren seine Kusine Elisabeth Freiin von Handel zu
heiraten. Bald darauf, 1899, wurde er Ministerialrat, 1902 Statthalter in Triest und
1905, als er 45 Jahre alt war, Statthalter in Oberösterreich. Insoweit können wir
von einer „normalen“ Laufbahn eines freilich sehr begabten Beamten sprechen.
Jedem begabten Beamten war es aber nicht beschieden, wie Handel als Statthal-
ter in Linz, zum Stellvertreter des Ministers des Inneren und für ein halbes Jahr
(Dezember 1916 bis Juni 1917) zum Minister des Inneren berufen zu werden. Nach
der kurzen ministeriellen Episode kehrte er als Statthalter nach Oberösterreich
zurück. Aus seinen Erinnerungen geht hervor, dass es ihm trotz des offenbar über-
zeugten deutsch-liberalen Vaters unmöglich war, sein „Denken in eine der politi-
schen Parteidoktrinen“ einzuordnen. Er las in seiner Gymnasialzeit als Schüler des
Theresianums, angeleitet von einem Präfekten, einem angeblichen „Kathederso-
zialisten“, Karl Marx. Ob und wie ihn die Lektüre beeindruckte, geht aus seinen
Memoiren nicht hervor, jedenfalls wurde er nationalpolitisch unabhängig – seinen
Aussagen zufolge – vorwiegend geschult durch viele Kommilitonen anderer Na-
tionen, die er im Theresianum und an der Universität Wien kennengelernt hatte.
Er bezeichnete sich als frei von nationalen Vorlieben oder Vorurteilen. So passte
es auch zu seiner Geisteshaltung, dass es ihn einerseits erbitterte, dass er, als er in
Triest und im Küstenland seinen Dienst antrat, weder nach slawischen noch nach
italienischen Sprachkenntnissen gefragt wurde, dass er aber andererseits in Triest
das „ganze Heer der Gemeindebeamten“ irredentistisch gesinnt vorfand und ös-
terreichisch-patriotische Beamte, so Handel, „schikaniert“ wurden. Er beklagt,
dass auch viele „Gebildete“ keinen wirklichen Staatsbegriff besaßen. Handels
Persönlichkeit wird für uns abgerundet durch die Tatsache, dass wir eine Reihe
von Denkschriften zur „Staatssprache“ und zu einer neuen Verfassung in seinem
Nachlass finden. Handels patriotische Gesinnung, seine nationale und politische
Unparteilichkeit weisen ihn als „josephinischen“ Beamten aus.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277