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Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
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265 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler von „Kathedersozialisten“ im Staatsdienst ist. Kurzzeitminister Erasmus Handel sprach, wie oben erwähnt, von einem Präfekten des Elitegymnasiums Theresia- num, der in seinen Augen „Kathedersozialist“ war, jedenfalls die Schüler dazu anhielt, Karl Marx zu lesen. Vom Ruf des Finanzministers Emil Steinbach als „Kathedersozialisten“, obschon bekannt als tief gläubiger Katholik, war schon ausführlich die Rede.558 Steinbach holte Alexander Spitzmüller ins Präsidium, der Steinbachs Gesinnung als „weit links“ bezeichnete. Diese für einen Beamten un- gewöhnliche Ideologie störte den jungen Spitzmüller offensichtlich nicht, sondern er bewunderte Steinbach und wurde von ihm so stark beeinflusst, dass er von seiner eigenen liberalen Weltanschauung abrückte (allerdings ohne eine neue zu finden).559 Die Verehrung Spitzmüllers war kein Wunder. Steinbachs schriftliche Abhandlungen und mündliche Reden, in denen er das Spekulantentum sowie andere Auswüchse des schrankenlosen Kapitalismus geißelte, waren modern. Sie könnten auch in unserer heutigen europäischen Krisensituation publiziert wor- den sein: „Der schrankenlose Wettbewerb der heutigen Wirtschaftsordnung“, so Steinbach in einer Rede vor der Wiener juristischen Gesellschaft 1896, „bedroht die Existenz zahlloser und zwar nicht bloß wirtschaftlich ganz schwacher Personen und selbst die wirtschaftlich stärkeren scheuen dieses gefahrvolle leichenbedeckte Schlachtfeld.“560 Die Toleranz innerhalb der Dienststellen war, so scheint es, weit gespannt, so- dass auch sogenannte radikale, revolutionäre, linke Geister Platz fanden. Dem offenbar gut unterrichteten Friedländer zufolge dürften auch Beamte des Typs „Häretiker“, des Rebellen, geduldet worden sein. Am Ende der Monarchie, so be- richtet er uns, sei es sogar unter den jüngeren Beamten Mode geworden, „rötlich angehaucht“ zu sein. Der Jurist Anton Menger habe sie zu ganzen oder zumindest halben Sozialisten gemacht.561 Robert Ehrhart berichtet uns von einem – von ihm sehr geschätzten – „Freigeist“ unter den Beamten, einem Sektionsrat im Ministe- rium für Cultus und Unterricht, den seine Kollegen den „Voltaire von Nussdorf“ nannten.562 Der „rote“ Hofrat Winkler in Schnitzlers Drama „Professor Bern- hardi“ erscheint als kein Zufall. Es scheint in den Amtsstuben lebende Exemplare als Vorbilder gegeben zu haben. Und höchst aufschlussreich ist die Aussage Hofrat 558 Siehe Kapitel: „Die ‚gut-bürgerliche‘ Beamtenfamilie“, „Soziale Distinktionen“, „Nationale Illustrationen“. 559 SPITZMÜLLER, „und hat auch Ursach’“, S. 28–32. 560 Bei FRITZ, Finanzminister Emil Steinbach, S. 190. 561 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 76. 562 EHRHART, Im Dienste, S. 114.
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Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Josephinische Mandarine
Untertitel
Bürokratie und Beamte in Österreich
Autor
Waltraud Heindl
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78950-5
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
336
Schlagwörter
Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
    1. 1. Theoretische Überlegungen 17
    2. 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie 24
    3. 3. Definitionen, Details und Daten 26
  3. II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
  4. III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
    1. 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
    2. 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
    3. 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
    4. 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
    5. 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
  5. IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
    1. 1. Wandel der politischen Strukturen 85
    2. 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
    3. 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
    4. 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
    5. 5. Nationale Illustrationen 106
    6. 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
    7. 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
    8. 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
    9. 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
    10. 10. Generationenkonflikte um 1900 160
  6. V. Das soziale Umfeld 165
    1. 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft 165
    2. 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 168
      1. Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung 170
      2. Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform 177
      3. Umgangsformen im Amt 180
      4. Arbeitszeit und Amtsräume 184
      5. Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten 187
    3. 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude 190
    4. 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital 198
      1. Amtsroutine im Privatleben? 198
      2. Bürgerlicher Lebensstandard?
      3. Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen 200
      4. Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit 209
      5. Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke 221
      6. Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung 229
  7. VI. Inszenierungen 235
    1. 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder 235
    2. 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse 244
  8. VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
    1. 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? 253
    2. 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? 260
    3. 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski 267
  9. VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277
    1. Anhang 285
    2. Bildnachweis 285
    3. Abkürzungsverzeichnis 286
      1. I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates 287
      2. II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen 288
    4. Quellen-und Literaturverzeichnis 290
    5. Archivalische Quellen 290
    6. Gedruckte Quellen 291
    7. Autobiografische Schriften 295
    8. Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur 298
    9. Sekundärliteratur 299
    10. Sachregister 313
    11. Namenregister 317
    12. Ortsamenregister 321
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