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3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski
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wurde unvermeidlich. Die Spurensuche – um es vorwegzunehmen – ergab: Ja-
nikowski hatte zwei Leben, die er streng getrennt voneinander führte: eines als
Beamter bei Tag, das andere als Künstlerfreund, „Freigeist“, intellektuell und
musisch interessierter Bohemien (als den er sich selbst des Öfteren bezeichnete)
bei Nacht. Der geisteskranke Kunst- und Künstlerfreund J. passte somit dem
Anschein nach so gar nicht in das Bild des streng seine Pflichten absolvierenden
josephinischen Bürokraten, ja er bildet geradezu einen Gegenpol, der (aus wel-
chen Gründen auch immer) trotzdem im Staatsdienst seinen Platz fand, was ihm
allerdings, wie wir noch sehen werden, nicht sehr gut bekommen sollte. Oder gab
es unter den Beamten weit mehr humanistisch gebildete an allen Künsten inte-
ressierte Weltbürger, die sehr viel mehr zu lesen und schreiben wussten als Akten?
Von Janikowskis Beamtenexistenz ist ein magerer Akt übrig geblieben, der
in der dürren Amtssprache eines tabellarischen Formblattes seine Laufbahn ver-
folgt.573 Von seinem zweiten Dasein als „Kultur- und Geistesmensch“ geben über
50 Briefe (nahezu alle an Karl Kraus) Aufschluss, die sich im „Teilnachlass“ von
Karl Kraus in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus befin-
den. Sie enthüllen einen unruhigen Geist und ein zumindest in den letzten Jahren
vollkommen unglückliches Leben. Die Briefe zwischen 1905 und 1908 sind so-
wohl mengenmäßig als auch inhaltlich spärlich zu nennen. Sie nehmen zwischen
1908/09 und Anfang 1911, als er nach Ausbruch der Krankheit die meisten von der
Krankenanstalt Steinhof aus schrieb, umfangreiche Dimensionen und sehr per-
sönliche Konturen an, geben tiefe Einblicke in sein Leben und Denken.574
Dr. Ludwig Ritter von Janikowski hatte eine sehr unauffällige Beamtenkarriere
hinter sich, als er 1911 jung, im Alter von nur 43 Jahren, verstarb. Ausführliche
Dienstbeschreibungen, die über sein Tun und Lassen als Beamter Auskunft ge-
ben würden, ein Pensionsakt, aus dem mehr über sein Leben zu erfahren gewesen
wäre, wurden nicht gefunden.575 Der oben erwähnten Diensttabelle zufolge wurde
Ludwig am 24. Juli 1868 in Krakau geboren. Er legte die juristischen Studien in
Krakau zurück, promovierte zum Doktor juris. Er beherrschte die Sprachen Pol-
nisch, Deutsch, Französisch, Russisch (in dieser Reihenfolge). Er war „vom Mi-
litärdienst gänzlich befreit“, da er „im Jahr 1891 als untauglich befunden“ wurde.
573 Zum Folgenden: ÖSTA., ARCHIV DER REPUBLIK, k. k. Staatsbahnen, Personalakten –
Staatsbahnen, Karton 28, fol. 1–2: Ritter von Janikowski Ludwig. Für große Hilfe danke ich Frau
Hofrat Dr. Gertrude Enderle-Burcel und Frau Maria Stagl, ÖSTA.
574 Janikowski an Karl Kraus, Briefe, WIENBIBLIOTHEK IM RATHAUS, Handschriftensamm-
lung, Teilnachlass Karl Kraus.
575 Auskunft Dr. Grögers, Österreichisches Staatsarchiv Wien.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277