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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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Maler des 18. Jahrhunderts Jan Matejko von seinem „hoch verehrten Freund“,
dem Maler und Schriftsteller Witkiewicz, den er in Abano kennengelernt hatte,
in die deutsche Sprache zu übersetzen.592 Viele Briefe zeigen Perioden, in denen er
mit seinem Schicksal, der Welt und der Tatsache haderte, dass diese Existenz von
seinen Freunden (darunter von Karl Kraus) finanziell getragen werden musste. Er
fühlte sich in diesen Zeiten in Steinhof unfrei, verfolgt von Vorstellungen, von
Ärzten und Sachwaltern betrogen zu werden. Es traf ihn sehr, dass in seinem Pati-
entenbogen ein zweimaliger Selbstmordversuch vermerkt wurde.593 Die ehemalige
Begeisterung schlug vor allem während seines zweiten Aufenthalts in Steinhof um,
als im Sommer seine Krankheit intensiver wurde. Er wollte die Anstalt, die er als
„seinen Kerker“ sah, unbedingt verlassen,594 wurde schließlich von den Freunden
in das Sanatorium nach Rekawinkel übersiedelt. Von dort wurde er nach dem
Februar 1911 von seiner Mutter und seinen Schwestern – aus Gründen der hohen
Kosten, die seine mittellose Familie trotz der Unterstützung der Freunde nicht zu
tragen vermochte595 – in ein Sanatorium nach Warschau überstellt. Sein trauriges
Ende – vermutlich nach einem dritten Selbstmordversuch – erfolgte im Juli 1911.
Wir wissen nicht, was der Auslöser für Janikowskis Krankheit war. Hatte etwa
sein ungeliebter Beamtenberuf ein gerüttelt Maß Anteil an seiner „nervlichen Zer-
rüttung“? Die verantwortlichen Leiter der Amtsbibliothek hatten 1907/1908 ge-
wechselt. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Sektionschef geworden, einer seiner
Kollegen, der nicht wie er mit der Leitung der Bibliothek beauftragt war, wurde
sein unmittelbarer Vorgesetzter. Oder war es die Spannung zwischen dem Bohe-
mienleben bei Nacht und dem Beamtenleben bei Tag, das bei ihm die Krankheit
auslöste? Jedenfalls sind wir bei Lektüre seiner Briefe mit schweren Selbstvorwürfen
über seinen unsteten Charakter und seine schlechte Lebensführung konfrontiert.596
592 Janikowski an Karl Kraus, Abano, 12. 12. 1909, H.I.N. 169.155, WIENBIBLIOTHEK IM RAT-
HAUS, Handschriftensammlung, Teilnachlass Karl Kraus.
593 Janikowski an Karl Kraus, Steinhof, November 1909, H.I.N. 169.154, 19. Februar 1910, H.I.N.
169.157, März 1910, H.I.N. 169.166, März 1910, H.I.N. 169.167, 9. April 1910, H.I.N. 169.161,
WIENBIBLIOTHEK IM RATHAUS, Handschriftensammlung, Teilnachlass Karl Kraus.
594 Janikowski an Karl Kraus, Steinhof, Juni 1910, H.I.N. 174.163, Juli 1910, H.I N. 169.165, H.I.N.
169.168, H.I.N. 169.169, August 1910, H.I.N. 174.642, August 1910, H.I.N. 174.639, WIEN-
BIBLIOTHEK IM RATHAUS, Handschriftensammlung, Teilnachlass Karl Kraus.
595 Janikowski an Karl Kraus, Rekawinkel, 26. Jänner 1911, H.I. N.169.172, Antonina Janikowska
(Schwester von Ludwig) an Karl Kraus, 20. Jänner 1911, H.I.N. 174.637, WIENBIBLIOTHEK
IM RATHAUS, Handschriftensammlung, Teilnachlass Karl Kraus.
596 Zum Beispiel Janikowski an Karl Kraus, Steinhof, 19. Februar 1910, H.I.N. 169.157, WIEN-
BIBLIOTHEK IM RATHAUS, Handschriftensammlung.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277