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Vorwort 17
Poetik und der Rhetorik sowie die Autorität antiker Vorbilder die gattungsmäßige
Ordnung aufrechterhalten, doch jenseits seiner Grenzen erstreckt sich generisches
Niemandsland : Die Autoren, so scheint es, stehen dem Konzept „Gattung“ weit-
hin indifferent gegenüber und orientieren sich in erster Linie an den Erfordernis-
sen der konkreten Situation, in der sie ihren Text verfassen. Das ist nicht zuletzt
deshalb wichtig, weil es eine andere Beziehung zur antiken Literatur impliziert als
die von bewusster imitatio („Nachahmung“) und aemulatio („Wetteifer“) geprägte,
die v.a. klassische Philologen gerne ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen. Viel-
fach kommt den antiken Texten eher die Rolle einer literarischen Verfügungs-
masse zu, deren man sich nach Belieben bedient.
d) Dass im Bereich der nachantiken Latinität noch viel editionsphilologische Arbeit
zu leisten ist, ist allgemein bekannt. Auch wir sind erwartungsgemäß auf eine
Menge Texte gestoßen, die eine Ausgabe mit Einleitung, Übersetzung und Kom-
mentar lohnen würden. Überraschend war jedoch, dass sich uns darüber hinaus
zahlreiche übergreifende Themen und Fragen literatur-, bildungs- und geistesge-
schichtlicher Natur aufgedrängt haben, die unseres Wissens bisher erst zum klei-
neren Teil als solche wahrgenommen und bearbeitet worden sind. Um nur eine
Handvoll Beispiele herauszugreifen : Anhand erhaltener Schülerhefte ließe sich
in aller Deutlichkeit nachvollziehen, wie junge Lateiner an das Verfassen poeti-
scher Texte herangeführt wurden. Die lat. geistliche Dichtung des Barock, von
der Hymnen- über die Erbauungs- bis zur Meditationsdichtung, von streng klas-
sizistisch bis mittelalterlich-akzentuierend, ist samt ihren religionsgeschichtlichen
Implikationen noch fast zur Gänze unerforscht. Dasselbe gilt für die vielgestaltige
nlat. Figurendichtung, die mitunter die seltsamsten Blüten treibt. Auch die inge-
niösen Prosimetra der Societas Jesu zum Preise geistlicher und weltlicher Herrscher,
die Versatzstücke aller Art in spielerischer Freiheit kombinieren und beispielsweise
nicht davor zurückschrecken, gänzlich neuartige Metren zu erfinden, harren noch
der Aufarbeitung. Ein weiteres, bildungsgeschichtlich wichtiges, panegyrisches
Genre, das zu seiner Zeit überaus beliebt war, stellen Gratulationsschriften zu
akademischen Promotionen dar. Aus der panegyrischen Leichenrede scheint im
18./19. Jh. in intellektuellen Kreisen, beispielsweise in den Akademien, der mo-
derne Nachruf hervorgegangen zu sein ; das Wie und Warum dieses literatur- wie
mentalitätsgeschichtlich interessanten Vorgangs bleibt zu untersuchen. Die lat.
Fachsprachen vieler Wissenschaften entwickelten sich, wie schon angedeutet, bis
in jüngste Zeit eigenständig weiter – Sonderwege der lat. Sprachgeschichte, über
die wir noch kaum etwas wissen. Die nlat. Literatur hält für denjenigen, der sich
ihr widmen möchte, neben geduldiger, solider Grundlagenforschung eine Fülle
spannender Fragen von großer Tragweite bereit – ein zusätzlicher Anreiz, sich ihr
noch entschiedener zuzuwenden als bisher.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593