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86 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser MaximiliansÂ
I. (1519)
Panegyrik Ein beträchtlicher Teil der Tiroler Gedichte ist panegyrischer Natur, wobei im
Vergleich mit der restlichen Sammlung auffallend viele StĂĽcke direkt dem Herr-
scher, in der Regel Sigmund, gewidmet sind. Eine andere hochgestellte Person fun-
giert nur einmal als Adressat : In einer auf den 31. 3. 1484 datierten Kurzelegie
(carm. 73 ; Bl. 72rv) versucht Johannes Jacobus a Cruce aus Modena (vgl. Zingerle
1880, LIII) einen Odoricus, Praepositus von Trient, zum Mäzen zu gewinnen. Sig-
munds Hofstaat wird kaum je explizit gehuldigt. Der Sigmundspanegyrik zuzu-
rechnen ist z.B. die kurze Elegie des unbekannten italienischen Humanisten Geor-
gius Posthumus zur Hochzeit des Erzherzogs mit Katharina von Sachsen 1489 ; die
Vermählung wird nach dem Vorbild antiker Epithalamien durch eine Götterhand-
lung, nämlich ein Gespräch zwischen Jupiter und Venus, vorbereitet (carm. 72 [Bl.
71v–72r]). In drei Epigrammen (carm. 64 und den zwei folgenden [Bl. 60v–61v])
variiert der Venezianer Philologe und Poet Franciscus Niger (Zingerle 1880, XLIX–
L) das Thema einer – sonst unbekannten – Statue für Sigmund ; da dieser als Stra-
ßenbauer durchs Gebirge gewürdigt wird, könnte das Standbild anlässlich des Aus-
baus des Saumpfades durch die Eisackschlucht in den 1480er-Jahren (Stolz 1953,
118–119, 185–186) errichtet worden sein. Einen Hinweis darauf, dass Sigmund
vielleicht sogar ganze Gedichtsammlungen zugeeignet wurden, liefern zwei catul-
lisierende Gedichtlein in Hendekasyllabi des ostfränkischen Juristen und Poeten
Engelhard Funck (carm. 74 und nach carm. 81 [Bl. 79r, Bl. 88v] ; zur Person Zin-
gerle 1880, LVIII–LIX). Im ersten sprechen die Verslein (versiculi) selbst, beklagen
ihren miserablen Zustand, der dem ihres Autors entspreche, geben an, nur knapp
dem Feuertod entkommen zu sein, und bitten Sigmund um gastliche Aufnahme,
Korrektur und Rücksendung an den Autor ; im zweiten dagegen erklärt dieser stolz,
hier sei nun das Ende seiner scherzhaften Gedichte – die er indes höher einschätze
als die Taten des Herkules. Zusammen könnten die beiden kurzen Texte durchaus
den Rahmen einer Sammlung gebildet haben. Recht ungezwungen ist der Ton in
einigen StĂĽcken mit erotischer Thematik. So bittet der Triester Dichter, Hofbe-
amte und nachmalige Bischof seiner Heimatstadt Pietro Bonomo (1458–1546) im
carm. 52 (Bl. 126v) den in Innsbruck tätigen kaiserlichen Rat Blasius Hölzl (Füssel
1987, 230–232), ihm seine neue Flamme zu zeigen, damit er sie bedichten könne ;
es handle sich doch wohl nicht um eine Prostituierte, deren sich Hölzl schämen
müsste ?14 An anderer Stelle (carm. 77 [Bl. 82r–84r]) schreibt ein gewisser H. einen
in der Tradition der ovidischen Heroides stehenden elegischen Liebesbrief an seine
in Rom weilende Freundin V.Â
Im anschlieĂźenden Distichon carm. 78 (Bl. 84v) wird
Sigmund, offenbar einer der intendierten Leser der Elegie, gebeten, die Identität
14 Vgl. zu Bonomo Brazzano 2005, der eine Biographie und eine kommentierte Edition sämtlicher
Texte bietet.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593