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Dichtung 87
Tiberinus’ Epos
ĂĽber den Krieg
gegen Burgund
Hofleben
der Liebenden geheim zu halten – was die Neugier aller anderen Leser hinsichtlich
der Realität oder Fiktionalität der geschilderten Situation sowie der involvierten
Personen zusätzlich angestachelt haben dürfte. Man kann sich vorstellen, dass das
klatschsĂĽchtige Ambiente eines FĂĽrstenhofes genau der richtige Ort fĂĽr ein solches
Spiel mit den verschwimmenden Grenzen zwischen Leben und Literatur war.
Dieser Kleindichtung steht ein panegyrisches Epos von zwei BĂĽchern und na-
hezu 400 Versen gegenĂĽber, das der uns schon als Simondichter bekannte Tibe-
rinus ĂĽber Sigmunds Teilnahme am Krieg gegen Karl den KĂĽhnen von Burgund
1474–1477 verfasst hat (carm. 96 [Bl. 115v–123v]). Das erste Buch erzählt dabei
nach einer Anrufung der Dichtergottheiten und Sigmunds selbst die Vorgeschichte
des Krieges (Verpachtung von Sundgau und Elsass durch Sigmund an Karl, Unter-
drückung der Bevölkerung, die zu Sigmund um Hilfe schickt, Verhandlungen und
RĂĽstungen), das zweite, fast doppelt so lange, die Belagerung von NeuĂź durch Karl,
seine Niederlagen bei Grandson und Murten und seinen Tod bei Nancy ; ein Lob
Deutschlands und Sigmunds, der auch als Schutzherr der Dichter gepriesen wird,
bildet den Schluss. Das Epos imitiert so in gewissem Sinne die Gliederung der Ae-
neis in zwei Hälften, welche die Vorgeschichte der Kämpfe um Latium bzw. diese
Kämpfe selbst behandeln. Im Übrigen ist es historisch irreführend (die Schweizer
werden kaum erwähnt, man gewinnt vielmehr den Eindruck, Sigmund stehe an der
Spitze einer deutschen Streitmacht) und literarisch Durchschnitt. Mit Tirol hat es
nur durch die Person Sigmunds und einen erzähltechnisch unmotivierten Exkurs
zu tun, in dem Tiberinus’ Patron Johannes Hinderbach und das Trientner Dom-
kapitel um Frieden beten und auch der Simonknabe erwähnt wird (2,148–163).
Ebenfalls noch z.T. als panegyrisch bezeichnen kann man eine Reihe von Ge-
dichten, die Einblick in das Innsbrucker Hofleben gewähren. Gleich dreimal wird
eine der wichtigsten höfischen Vergnügungen behandelt, nämlich die Jagd : In einer
anonymen Kurzelegie nach carm. 71 (Bl. 71v) wird Sigmunds fĂĽr ihre Jagdlust be-
kannte (Riedmann 1990, 504) Gemahlin Eleonore von Schottland als neue Diana
gepriesen. In einem Epitaphium („Grabschrift“ ; der Titel verweist auf die antike
Tradition der Grabepigramme fĂĽr [allerdings meist Haus-]Tiere) nach carm. 90
(Bl. 96v–97r) freut eine tote Hirschkuh sich über die Ehre, von Maximilian persön-
lich erlegt und Mailändischen Gesandten geschenkt worden zu sein. Nach carm.
56 (Bl. 132rv) steht ein wohl von Pietro Bonomo stammendes autobiographisches
Epigramm : Der Dichter hat Maximilian auf einer Jagdpartie begleitet und ist beim
Durchreiten eines Baches zu Fall gekommen, weil Wassernymphen, die den Herr-
scher bewundern wollten, sein Pferd scheu gemacht haben. Anderswo (nach carm.
54 [Bl. 130v–131r]) beschreibt Bonomo dagegen in einer kurzen Elegie die Lange-
weile, die ihn am Innsbrucker Hof quält, wo Maximilians zweite Frau Bianca Maria
Sforza in Abwesenheit ihres Gatten dahinvegetiert : Non aliud regina facit quam
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593