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Geschichtsschreibung 107
Nach der Überschrift Hic invenitur, qualiter egregium claustrum in Stams fuerit
constructum, dedicatum („Hier findet sich, wie das vortreffliche Kloster in Stams
gegründet und gestiftet wurde“) beginnt der Text mit einer Anrufung Gottes
(Invocatio), gefolgt von einer feierlichen Einleitung (Arenga), der Hinwendung
an alle Christgläubigen als Adressaten (Publicatio) und einer genauen Datierung.
Das Vorbild der Urkunde bei der formalen Gestaltung der Aufzeichnung, bei
der die congregatio in Stams gewissermaßen als Aussteller auftritt, ist unverkenn-
bar. Diese Konzeption macht die Stamser Quelle geradezu zu einem Muster-
beispiel für eine damals v.a. bei Berichten über die Anfänge von Klöstern sehr
gebräuchliche Literaturgattung in der Kombination von Urkunde und Erzählung
(vgl. Lhotsky 1963, 257). Der erste Teil der Niederschrift bietet sodann einen
sehr genauen Bericht von der Besiedlung des Tiroler Klosters durch Mönche
aus Kaisheim in Schwaben, der Großzügigkeit der Gründer Meinhard und Eli-
sabeth hinsichtlich der Ausstattung sowie den Fortschritten im Bau des gemau-
erten Klosters. Im Zentrum stehen weiter die Schilderung der Feierlichkeiten
bei der Weihe der Klosterkirche im November des Jahres 1284 durch eine Reihe
namentlich genannter Bischöfe (Weihe der verschiedenen Altäre, Beisetzung der
Gründerin und ihrer früh verstorbenen vier Kinder, Überführung der Gebeine
der Vorfahren Meinhards von Schloss Tirol in das neue Familienbegräbnis der
Tiroler Landesfürsten in Stams u.a.). Aus diesem Anlass waren zahlreiche promi-
nente Gäste und viel Volk zusammengekommen, und entgegen von damals ver-
breiteten Gerüchten und Voraussagen gab es keine Probleme mit der Versorgung
der Menschen oder andere dramatische Zwischenfälle. Hinter diesen dezidierten
Feststellungen dürften sich nicht offen artikulierte Spannungen verbergen, die in
der Tatsache begründet waren, dass sich Meinhard die meiste Zeit seines Lebens
offiziell im Kirchenbann befand. Der zweite Teil des Berichtes präsentiert noch
einmal die großzügige Ausstattung, die Graf Meinhard seiner Stiftung zukom-
men ließ. Dabei diente wieder der Wortlaut einer entsprechenden Urkunde als
kaum modifizierte Grundlage. Mit einem langen Verzeichnis von Zahlungen und
anderen Rechten, die Meinhard früheren Berechtigten als Entschädigungen für
Einkünfte zuerkannt hatte, die nun an Stams zu leisten waren, und der Erzäh-
lung über die Lösung der Kirche von Stams von der Mutterkirche Silz bricht die
Aufzeichnung mitten im Satz ab. Der gesamte zweite Teil stimmt mit der von Abt
auf eine Überlieferung im Stiftsarchiv Stams HS X/I in Wiesflecker/Rainer 1952, Nr. 36 (s), be-
zieht sich auf das Urbar von Stams von 1284. Ausgabe von Hormayr zu Hortenburg 1806–1808,
490–494 (nur Teil 1, aus unbekannter Vorlage) ; MIÖG 1, 84–91 (nach der Überlieferung in der
ULBT, dem Druck von Hormayr und einer Stamser Überlieferung des 18. Jhs.) ; Köfler 1978, 1–4
(Teil 2 des Chronicon als Einleitung zum ältesten Urbar nach dem Original in Stams Hs. X/I).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593