Seite - 117 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
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Geschichtsschreibung 117
Johannes Spies
Fortsetzung der
Flores temporum
Charakteristik
Schrift sowie von Formeln aus der Liturgie entspricht ganz allgemein der Position
und Bildung eines spätmittelalterlichen Klerikers.
Das nächste Werk führt uns wieder in den Norden Tirols : Johannes Spies ent-
stammte einer vermögenden Bürgerfamilie im damals zum Herzogtum Niederbay-
ern zählenden Rattenberg (vgl. Lhotsky 1963, 360 ; Riedmann 1970, 6–9 ; Studt
1995). Im Jahr 1423 trat er in das 1386 gegründete Augustinereremitenkloster
seiner Heimatstadt ein und wurde bereits 1429 Prior dieser Gemeinschaft. Diese
Funktion bekleidete er bis 1453. Seinen Todestag am 12. März 1455 bezeugen das
Anniversar des Klosters und sein Grabstein auf der Nordseite des Presbyteriums der
Klosterkirche. Spies bemühte sich mit Nachdruck und Erfolg um die Sicherung der
materiellen Basis der von ihm geleiteten Gemeinschaft und betätigte sich in diesem
Sinne auch als Vertreter der gesamten bayerischen Provinz seines Ordens gegen-
über Ansprüchen von Abgesandten des Basler Konzils. Insbesondere auch auf die
rechtliche Absicherung des von ihm gegründeten Spitals in Rattenberg verwandte
der Prior viele Mühen, indem er die einschlägigen Urkunden abschreiben und be-
glaubigen ließ.
Johannes Spies verfasste eine Fortsetzung der im späteren Mittelalter v.a. im
Kreis der Minoriten weit verbreiteten Weltchronik, die als Flores temporum („Blu-
men der Zeiten“) bekannt ist und in erster Linie kontinuierliche Abfolgen von
Päpsten und weltlichen Herrschern bietet (vgl. Mierau/Sander-Berke/Studt 1996,
v.a. 57, 69). Eine derartige Überlieferung wurde vom Prior kopiert und für die Jahre
1415 bis 1441 mit eigenen Nachrichten ergänzt.11 Beschrieben werden Ereignisse
auf dem Konzil von Konstanz (Wahl Papst Martins V., Gefangennahme Johannes
XXIII. und Herzog Friedrichs von Österreich-Tirol, Anteil König Sigismunds, Ver-
brennung des Jan Hus und des Hieronymus von Prag) sowie die folgenden langwie-
rigen Kämpfe gegen die Hussiten. In diesem Zusammenhang findet sich auch ein
Verzeichnis der ‚irrigen‘ Lehrsätze der böhmischen ‚Ketzer‘. Weitere Nachrichten
betreffen die Wahl und den Tod von Päpsten und Königen sowie Ereignisse im
Zusammenhang mit dem Konzil von Basel.
Seine Informationen bezog Spies in erster Linie aus mündlichen Berichten, ins-
besondere seiner Ordensbrüder, sowie aus eigenen Erfahrungen auf verschiedenen
Reisen. Eine schriftliche Vorlage ist nur für die Lehrsätze der Hussiten mit Sicher-
heit anzunehmen. Der Autor bezeichnet seine historiographischen Bemühungen
eher als eine Materialsammlung, die jemand anderer für die Ausarbeitung einer
Chronik benützen könne (vgl. Riedmann 1970, 16, 29). Das Werk ist stark chrono-
11 Erhalten ist das Autograph (ULBT, Cod. 68, Bl. 91–95) und eine annähernd zeitgenössische Ab-
schrift aus der Bibliothek des Anton von Annenberg (ÖNB, Cod. 12.465, Bl. 129–132). Das Werk
ist ediert und besprochen bei Riedmann 1970.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593