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Brief 135
Humanistenbriefe
um den Korrespondenzpartner nicht – zumindest nicht offensichtlich – zu ver-
ärgern oder gar zu beleidigen. In dieser Fürstenkorrespondenz sind es vor allem
emotionale Strategien (vgl. Walton 1992 ; Antenhofer 2005 und 2007), die verwen-
det wurden, wie Appelle an das Band der Freundschaft und Verwandtschaft, das
zwischen den Fürstenhäusern gesponnen worden war. Als beispielsweise Federico,
Paulas Bruder, ein Jahr nach der Eheschließung dem verärgerten Grafen erklären
sollte, warum er die Mitgift für Paula noch immer nicht zur Gänze ausbezahlt hatte,
appellierte er an das Mitleid und die Freundschaft des Grafen (15. November 1479 ;
TLA Sigm. 4a.029.036) :
Nam cum superiori estate in Etruria fuerimus cum armorum gentibus nostris tot nobis undique
expense occuraverunt, ut non tantum pecunie stipendii nobis satisfecerint, sed et nostras et vestre
illustris dominationis que apud nos erant expendere necesse fuerit. Idque confidenter fecimus exi-
stimantes, quod, si ille apud prefatam illustrem dominationem vestram fuissent eadem a nobis
requisita, pro sua in nos benevolentia et mutuo amore pecunias ipsas leto animo nobis concessisset.
Denn als wir letzten Sommer mit unseren Söldnern in Etrurien waren, hatten wir auf allen
Seiten so viele Ausgaben, dass uns das Geld für den Sold nicht genügte und wir sowohl
unser Geld als auch jenes Eurer fürstlichen Herrlichkeit, das wir bei uns hatten, ausgeben
mussten. Und das machten wir voller Vertrauen, da wir glaubten, wenn dieses Geld bei
Euch gewesen wäre und wir darum gebeten hätten, so hättet Ihr es uns frohen Mutes über-
geben aufgrund Eures Wohlwollens uns gegenüber und der gegenseitigen Liebe.
Durch diesen diplomatischen Schachzug machte es Federico Leonhard unmöglich,
seine Entschuldigung zurückzuweisen, ohne dabei das diffizile Netz der Höflichkeit
und Freundschaft zwischen den Höfen zu verletzen.
Wurde den Alltagsschreiben der Renaissance und des Mittelalters in der For-
schung häufig kein großes Interesse zuteil aufgrund ihrer augenscheinlich großen
Formelhaftigkeit und geringen „Individualität“ (vgl. Nickisch 1991, 1–4), so erge-
ben genauere historische Untersuchungen, dass die Verfasser dieser Briefe die Stra-
tegien der Rhetorik auf das Beste beherrschten und sich diese zunutze machten, um
im Korsett der festgelegten Formeln und Floskeln ihre individuellen Botschaften
durchaus an die Frau und den Mann zu bringen.
Zeitgleich zur eben beschriebenen, politisch-zweckmäßig ausgerichteten Form
der Korrespondenz entwickelte sich auch in Tirol wie im restlichen Europa die
sehr viel stärker literarisch-poetisch ausgerichtete Form des Humanistenbriefes.
Dieser zeichnet sich neben der Verwendung des klassischen Lat. v.a. durch seine
kunstvolle und durchkomponierte Gestaltung, welche sich ganz am Vorbild der rö-
mischen Tradition der epistula orientiert, aus. Die durchdringende Gelehrsamkeit,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593