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148 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
Scholastik in Tirol
Narcissus Herz
Kommentar zu
Petrus Lombardus die Vernunfteinsicht und zeigten einen starken Neuerungsdrang sowie eine Nei-
gung zu skeptischer Kritik. Sie tendierten dazu, die Theologie zu einem Übungs-
feld logisch-dialektischer Kunstfertigkeit zu machen, anstatt sie als Heilslehre zu
betrachten (HdK 3,2, 431–433 ; Röd 2000, 375–378). Weiteres Konfliktpotenzial
enthielt die auf Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua zurückgehende
Forderung nach einem Staatskirchentum und die damit zusammenhängende Idee
des Konziliarismus, die eine Oberhoheit des Konzils vor dem Papst annahm (Röd
2000, 378–380). In zwei Dekreten des Konzils von Konstanz fand diese Vorstellung
ihre klassische Formulierung ; unter denselben Auspizien standen auch die Arbeiten
des Konzils von Basel (Bäumer 1976).
Im 15. Jh. wurde die Scholastik auch in Tirol rezipiert. An den Handschriften-
beständen der bedeutendsten geistlichen Zentren lässt sich ablesen, wie das Gedan-
kengut auswärtiger Theologen den Weg ins Land fand. Erste Schneisen in ein un-
übersichtliches Dickicht theologischer Werke, um die man sich in Tirol bemühte,
schlagen mehrere Einzelstudien von Katherine Walsh (Walsh 1973 ; 1987 ; 1990 ;
1997 ; 2002), auf deren Ergebnissen der folgende Abriss basiert.
Ein bedeutender Vertreter des konziliaren Gedankengutes, dessen Werke in Ti-
rol Beachtung fanden, ist der um 1385 in Berching bei Eichstätt geborene und
seit 1406 an der Wiener Universität ausgebildete Narcissus Herz. 1434 ging er im
Auftrag Herzog Albrechts von Österreich als Gesandter ans Konzil von Basel. 1439
verfasste er ein von der Wiener Universität für verbindlich erklärtes Gutachten zum
Verhalten der geistlichen Reichsfürsten gegenüber dem aus der Sicht von Papst Eu-
gen IV. schismatisch gewordenen Reformkonzil, in dem er die von den Kurfürsten
verkündete Neutralität in der Auseinandersetzung zwischen Papst und Konzil und
den Gedanken der Union mit der griechischen Kirche entschieden ablehnte. Es
fand unter den Zeitgenossen große Beachtung und ist auch in den Bibliotheken
Tirols vertreten, beispielsweise in Gestalt eines 1455 in Erfurt angefertigten Manu-
skripts, das schließlich nach Neustift kam (ULBT, Cod. 59). Im dritten Teil einer
theologischen Sammelhandschrift aus Schnals (ULBT, Cod. 147) ist ein weiteres
Gutachten der Universität Wien vom 15. März 1442 über die Legitimität des Kon-
zils von Basel enthalten, das von Narcissus stammen könnte, weil es ebenfalls eine
kompromisslose Ablehnung jeder Form von Neutralität im Streit zwischen Papst
und Konzil enthält (Walsh 1990).
Herz war auch sehr an einer lebendigen Pastoral interessiert. Sein theologisches
Hauptwerk, ein Kommentar zum dritten Buch der Sentenzen des Petrus Lombar-
dus, der sich an Thomas von Aquin und Bonaventura anlehnt, verrät neben einer
bedeutenden spekulativen Veranlagung auch Sinn und Verständnis für faktenbezo-
gene Forschung. Die Schwerpunkte liegen auf der Menschwerdung Christi, christo-
logischen Einzelfragen, der Heils- und Erlösungslehre, den theologischen und den
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593