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152 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
gemäßigter
Thomismus
Mystik
Seuse, Horologium
Büchlein
Vergleich Horo-
logium – Büchlein Zu Welschs Zeit war die Heidelberger Hohe Schule ein Zentrum des Streites
zwischen via antiqua und via moderna ; dieser wurde dort in einer Härte ausgefoch-
ten wie sonst nur in Paris und Köln. Welsch vertrat einen gemäßigten Thomismus,
den Positionen radikalerer Vertreter der via antiqua schloss er sich nicht an. Die
Vorliebe für den Aquinaten bei der Bibelauslegung schien ihm mit dem Rückgriff
auf biblische und patristische Belegstellen vereinbar zu sein. In der strittigen Frage
der unbefleckten Empfängnis Mariens anerkannte er – gegen Thomas, aber mit
seinem eigenen Orden – stillschweigend die Bestimmung des Basler Konzils. Auch
in anderen Bereichen ging er ‚modern‘ anmutende Wege, so in der Auseinander-
setzung mit dem Problem, ob nur der Priester oder auch der Laie die Verwandlung
von Brot und Wein vornehmen könne bzw. dürfe. Bei der Schriftauslegung zeigte
er die Fähigkeit, die besten unter den spätmittelalterlichen Autoritäten heranzu-
ziehen ; neben kompilierten Teilen enthält Welschs exegetisches Werk jedoch auch
eigenständige Passagen. Insgesamt ist es allerdings lose strukturiert und stark von
momentanen Interessen geprägt (Walsh 1997, 89–96).
Parallel zur Scholastik hatten sich seit dem Ende des 13. Jhs. verstärkt mystische
Tendenzen als Formen theologischer Erkenntnis durchgesetzt ; diese Strömung, die
ihren Höhepunkt mit Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse er-
reichte, setzte den Akzent nicht auf die Transzendenz, sondern richtete den Blick
nach innen (HdK 3,2, 463–472).
Im Tirol des 15. Jhs. fand die Mystik insbesondere in Gestalt von Heinrich Seuses
(ca. 1295/96–1366) Horologium sapientiae („Uhr der Weisheit“) Verbreitung, einer
Schrift, die nicht nur zur erfolgreichsten ihres Verfassers, sondern darüber hinaus zu
einem der meistgelesenen Andachtsbücher des späten Mittelalters überhaupt wurde
(Dinzelbacher 1994, 303). In dem vermutlich 1334 abgeschlossenen Werk (Künzle
1977, 19–27) griff der aus dem Konstanzer Raum stammende Eckhart-Schüler,
der der philosophischen Wesensmystik und dem spekulativen Geist seines Leh-
rers lebenspraktische Aspekte und ein solides theologisches Wissen entgegensetzte
(Künzle 1977, 97 ; Dinzelbacher 1994, 295), Gedanken auf, die er bereits Ende der
20er-Jahre in deutscher Sprache im Büchlein der ewigen Weisheit niedergelegt hatte,
modifizierte diese jedoch entscheidend (Künzle 1977, 52).
Mit dem Büchlein hatte er in der Absicht, die seiner Ansicht nach erlöschende
Gottesliebe wieder zu beleben, eine allgemein verständliche Lehre von der Betrach-
tung des Leidens Christi vorgelegt, insbesondere eine Anleitung, verinnerlicht zu
leben und selig zu sterben. Im Dialog mit der Weisheit als Symbol Christi, als deren
Diener er sich verstand, war die Summe seiner seelsorglichen Erfahrungen zum
Ausdruck gekommen (Ruh 1996, 434–436).
Das Horologium, zu dem Seuse nach eigener Angabe durch eine Vision veranlasst
worden war (Ruh 1996, 441), unterscheidet sich vom Büchlein formal wie inhaltlich
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593