Seite - 153 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Bild der Seite - 153 -
Text der Seite - 153 -
Kirchliches Schrifttum 153
Titel und Aufbau
Inhalt
Autobiographi-
sches
geistliche
Vermählung
und präsentiert sich als „nahezu neues Werk“ (Karl Bihlmeyer bei Künzle 1977, 42).
Es ist weniger geschlossen und vermag die Nahtstellen nachträglicher Erweiterung
nicht bruchlos zu glätten (Künzle 1977, 49). Äußerlich sticht v.a. der Übergang zum
Lat. ins Auge. Diese für einen Mystiker keineswegs selbstverständliche Sprachwahl
hing nicht in erster Linie mit der Absicht zusammen, einen theologisch gebildeten
Leserkreis, insbesondere Prediger (Ruh 1996, 444), zu erreichen, sondern ist v.a.
dem Bestreben zuzuschreiben, über die Grenzen des eigenen Sprachraums hinaus
zu wirken. Sehr wohl auf ein lesegewohntes Publikum abgestimmt ist hingegen die
starke Einschränkung der dialogischen Partien zu Gunsten anspruchsvollerer, eher
den Charakter von Abhandlungen tragender Passagen (Künzle 1977, 50–54).
Der charakteristische Bestandteil des neuen Titels, Horologium, war damals in
dieser Funktion sehr beliebt und ließ den Leser in erster Linie an die weckende
Schlagwerkuhr (horologium excitatorium) denken. Ziel war es, die Gläubigen zu je-
der Stunde zu einem christlichen Leben zu ermahnen, die im Schlaf der Lauheit Be-
fangenen zu wecken und gegen die als bedenklich befundene Lage des kirchlichen
Lebens einzuschreiten. In Anlehnung an die Stunden des Tages und der Nacht, die
außer als Symbol für das Tagwerk auch als Sinnbild des ganzen Lebens zu verstehen
sind, ist das Werk in 24 (16+8) Abschnitte eingeteilt (Künzle 1977, 47, 57–64,
71–72). Durch diese Strukturierung unterwarf Seuse die Zeit der Andacht der Ra-
tionalisierung der kaufmännischen Welt (Dinzelbacher 1994, 304).
Inhaltlich bringt das Horologium gegenüber dem Büchlein dreierlei Neues : ers-
tens autobiographische Aussagen, zweitens einen neuen Schwerpunkt auf der Idee
der geistlichen Vermählung und drittens die eindringliche Anregung zu heilbrin-
gender Verkündigung sowie zur Reform des Ordenslebens, des Seelsorgeeifers und
des Studiums (Künzle 1977, 53).
Autobiographisches kommt in Gestalt eines kritischen Rückblicks auf sämtliche
Stufen des von Seuse durchlaufenen Schulbetriebes zum Ausdruck (Künzle 1977,
46 ; Ruh 1996, 418). Von den in diesem Zusammenhang angesprochenen The-
men sei hier nur die Frage nach der theologischen Wahrheit genannt, die sich drei-
fach präsentiert : als die des doctor egregius („hervorragender Lehrer“) Thomas von
Aquin, als die der moderni und als ein modus spiritualis („geistliche Art“) außerhalb
der universitären Theologie, zu dem sich Seuse selbst bekennt, weil er die beglü-
ckende Erfahrung der Einigung und das Entflammen der Mitmenschen ermögliche
(Ruh 1996, 442–443). Ganz im Geist seines Ordens stellt Seuse einer Theologie,
welcher die geistliche Dimension fehlt, als erstrebenswertes Ideal eine gegenüber,
die geistliches Leben zum eigenen Heil wie zu dem des Nächsten aufbaut.
Die Idee einer geistlichen Vermählung mit der Weisheit erinnert in manchem
an den zeitgenössischen Minnesang, geht aber an Intensität der Aussage weit über
diesen hinaus (Ruh 1996, 444). In der Frage, ob Seuse in Kategorien der höfischen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593