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162 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
Stil
Ulrich Molitoris
Werke
De lamiis,
Entstehung Juden erklärt wird, die Patriarchen und Propheten des AT könnten, wiewohl im
Besitz an sich entscheidender Voraussetzungen, deshalb nicht zur Ehre der Altäre
erhoben werden, weil dadurch suggeriert würde, sie hätten das Erlösungswerk
Christi bereits vorweggenommen. Geradezu fanatisch muten schließlich die letzten
Seiten an, auf denen Sylvester gängige Vorurteile gegen die Juden wiederholt und
bestehende kirchliche Gesetze über den Umgang mit ihnen in Erinnerung ruft. Das
Gutachten endet mit der Erklärung usque ad extreme vite spiritum viriliter decertabo
([18] ; „bis zum letzten Atemzug werde ich mannhaft kämpfen“).
Sprachlich scheint der Verfasser kaum Ambitionen gehabt zu haben. Er schreibt
ein nüchternes, nicht besonders sorgfältig gestaltetes Lat., bei dessen Stilisierung
hauptsächlich funktionale Überlegungen ausschlaggebend gewesen sein dürften.
Eines der interessantesten Werke der Epoche stammt schließlich aus der Feder
des in den Diensten Erzherzog Sigmunds stehenden Juristen Ulrich Molitoris (vgl.
Assion 1987 ; Mauz 1992). Molitoris wurde um 1442 in Konstanz geboren, wo er
nach seinem Studium der Rechte als Anwalt beim Bischofstribunal tätig war. 1479
wurde er Notar am bischöflichen Vikariat. Ab 1482 diente er zusätzlich am Hof
Erzherzog Sigmunds, wo er 1488 zum erzherzoglichen Rat und 1495/96 schließlich
zum Kanzler Tirols aufstieg. 1494 vertrat Molitoris den Erzherzog auf dem Reichs-
tag von Worms. Nach dem Tod Sigmunds 1496 wurde er durch Kaiser Maximilian
ans Reichskammergericht empfohlen, wo er ab 1497 den Posten eines Prokurators
bekleidete. Molitoris starb 1507.
Der in Deutsch und Lat. schreibende Molitoris verfasste v.a. juristische Werke,
in denen er reichstreue Positionen vertritt und gegenüber der Kirche stadtbürger-
liche Auffassungen verteidigt. In humanistischem Habitus schmückte er seine Ar-
gumentationen gern mit Zitaten aus der antiken und mittelalterlich-theologischen
Literatur. Seine Überlegungen zur Erneuerung des Reichs und zur Stärkung der
deutschen Nation entstanden unter Rückgriff auf die antike Staatsphilosophie. Da-
neben ist Molitoris auch der Autor einer lat. Gerichtskomödie, die zum Konstan-
zer Investiturstreit Stellung bezieht. Sein wirkungsmächtigstes Werk ist jedoch der
1489 im Auftrag Erzherzog Sigmunds verfasste und in Köln gedruckte Traktat De
lamiis [auch : laniis] et phitonicis mulieribus („Über gespenstische und zauberische
Frauen“ ; hg. von Mauz 1997, vgl. Abb. 24), gelegentlich auch als „Hexenbüchlein“
bezeichnet.
Historischer Hintergrund des Werkes ist das in den vorangegangenen Jahren im
deutschsprachigen Raum massiv angewachsene Problem der Behörden mit angebli-
cher Hexerei. 1484 veröffentlichte Papst Innozenz VIII. die Bulle Summis desideran-
tes affectibus – oft auch „Hexenbulle“ genannt –, in der er die religiösen Zustände
in Deutschland kritisierte und dazu aufforderte, die Inquisition nicht zu behindern.
Ein Jahr später kam der päpstliche Inquisitor Heinrich Institoris nach Innsbruck,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593