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170 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
Konflikte im
Bistum Die folgenden Jahre ließen nur wenig Zeit für Schriftstellerei. Cusanus begeg-
nete bei seinen radikalen Reformen in der Diözese Brixen großem Widerstand. In
der Absicht, ein Musterbistum zu schaffen, reduzierte er etwa die Feiertage mit
dem Argument, dass die Leute durch Arbeit Müßiggang besser vermeiden könnten,
schritt gegen verschiedene Formen des Aberglaubens ein und erlegte dem Klerus
strengere Disziplin auf. Mit dem Domkapitel zerstritt er sich ebenso wie mit einer
ganzen Reihe von Tiroler Klöstern, namentlich mit den Zisterziensern in Stams
und den Benediktinerinnen in Sonnenburg bei St. Lorenzen. Es hängt wohl auch
damit zusammen, dass man sich in den Tiroler Klöstern kaum mit den Werken des
Cusanus beschäftigte. Einzig in der damals blühenden Kartause Schnals wurden ei-
nige seiner Werke abgeschrieben (heute ULBT, Cod. 136, 444 und 583). Diese um
1460 entstandenen Hs. überliefern von den in Tirol verfassten Schriften allerdings
nur De visione Dei (Cod. 444). Cusanus hatte aber nicht nur mit der Widersetzlich-
keit vieler Klöster, sondern v.a. mit dem Landesherrn Herzog Sigmund zu kämpfen,
mit dem er in einem dauernden Streit um die weltliche Macht im Bistum Brixen
lag. Nachdem ihm der Plan eines Anschlags auf sein Leben zu Ohren gekommen
war, floh er im Juli 1457 aus Brixen, zuerst nach Säben und dann auf die Burg
Andraz bei Buchenstein im südöstlichsten Winkel der Diözese (heute Livinallongo
in der Provinz Belluno). Hier fand Cusanus erstmals wieder Zeit für die Schriftstel-
lerei. Er verfasste u.a. das zentrale Werk De beryllo („Über den Beryll“), eine wieder
an die Tegernseer Mönche gerichtete Einleitung in seine Philosophie. Die in Rom
fertiggestellte Schrift De mathematica perfectione („Über die mathematische Vollen-
dung“) wurde wohl noch auf Andraz begonnen. Im September 1458 wurde Cusanus
schließlich von seinem eben zum Papst gewählten Freund Enea Silvio Piccolomini
(Pius II.) nach Rom gerufen. Die von hier aus unternommenen Verhandlungen
mit Sigmund scheiterten und führten zum endgültigen Bruch. Ein 1460 gewagter
Versuch, nach Brixen zurückzukehren, endete für Cusanus demütigend. Auf einer
in der Karwoche einberufenen Versammlung des Klerus in Bruneck drohte er dem
Herzog damit, alle Lehen der Brixner Kirche an Kaiser Friedrich III. zu übertragen.
Daraufhin wurde er zu Ostern von Sigmunds Truppen in Bruneck belagert und
gefangen genommen. Der Herzog zwang ihn zur Unterzeichnung eines Vertrags,
den Cusanus in Freiheit sofort widerrief. Pius II. exkommunizierte Sigmund und
verhängte das Interdikt über Tirol. Möglicherweise entstand während des kurzen
Aufenthaltes in Tirol 1460 der ‚Trialog‘ De possest („Über das Können-Ist“), in der
Gottes unbeschränkte Möglichkeiten und sein unbeschränktes Sein in eins gesetzt
werden.3 Während der restlichen Jahre bis zu seinem Tod lebte Cusanus in Rom
3 Die Annahme einer Entstehung in Andraz gründet sich freilich nur darauf, dass im Werk von
großer Winterkälte die Rede ist. Ich verzichte im Folgenden auf Einzeldarstellungen von De ma-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593